Überblickskommentar 15
wieder geführte Auseinandersetzung mit einer auf den „Nutzen" gegründeten
Moral konzentrierte sich N. ferner auf die Werke von John Stuart Mill, die er in
deutscher Übersetzung besaß. Einschlägig war besonders Mills Utilitarianism
(Deutsch: Das Nützlichkeitsprinzip).
Vor allem attackierte N. in seinem „Feldzug gegen die Moral" deren christ-
liche Ausformung. Immer wieder kritisiert er aber auch die ethischen Theorien
der vorchristlichen Antike, insbesondere die an der Person des Sokrates orien-
tierten platonischen Lehren und bestimmte Positionen der stoischen Moral;
überdies wendet er sich wiederholt gegen die Pflichtethik Kants und mit Nach-
druck gegen die auf das Gefühl des Mitleids sich berufende Grundlegung der
Moral bei Schopenhauer. Für all dies zog N. religionskritische, philosophie-
und kulturgeschichtliche Darstellungen heran. Wie schon gesagt, war er nur
mit wenigen Originaltexten vertraut. Allerdings lassen sich die Kenntnisse von
Originaltexten und die Übernahmen aus sekundären Darstellungen nicht so
leicht auseinanderhalten, denn auch in den sekundären Werken werden die
primären ,Quellen' immer wieder zitiert oder paraphrasiert. Zwar kann man
mit einiger Sicherheit sagen, dass N. Kant nur aus Philosophiegeschichten und
anderen sekundären Veröffentlichungen kannte, während er mit Schopenhau-
er aufgrund eigenen Studiums vertraut war. Doch gab es auch über Schopen-
hauer, der nach seinem Tod geradewegs zum Mode-Autor aufgestiegen war,
schon eine Flut von sekundären Darstellungen, von denen N. manche zur
Kenntnis nahm. Aufgrund von N.s eklektischem Verfahren lässt sich die Prove-
nienz einer Aussage oft nur punktuell identifizieren, so dass der Begriff „Quel-
le" zu relativieren ist. Hinzukommt, dass fast jede „Quelle" selbst wiederum
Einzugsgebiete hat. Die Komplexität der Quellen-Problematik nimmt noch zu,
wenn etwa sowohl Schopenhauer wie auch Paul Ree sich immer wieder auf
die französischen Moralisten, besonders auf La Rochefoucauld, berufen. Greift
dann Ree auch auf Schopenhauer zurück und rezipiert N. La Rochefoucauld
direkt oder vermittelt durch Ree oder Schopenhauer oder durch beide? Zweifel-
los vertiefte sich N. in die deutsche Pascal-Übersetzung, wie die Lesespuren in
seinem Exemplar erkennen lassen. Inwiefern aber spielen sekundäre Lektüren,
etwa Sainte-Beuves große Darstellung von Port Royal für seine Rezeption von
seiten N.s eine Rolle (Sainte-Beuve 1840-1848)? Und: Schopenhauer, den N.
am besten kannte, hatte nicht nur in den beiden Bänden seines Hauptwerks
und in den Parerga und Paralipomena große Sammlungen von Belegstellen aus
der antiken sowie neuzeitlichen Philosophie und Literatur zu bestimmten The-
men angelegt, sondern auch in den beiden Abhandlungen, die sich mit der
Moral befassen und für N. von besonderem Interesse waren, weil sie Grund-
probleme der Ethik erörtern: die Preisschrift über die Freiheit des Willens und
die Preisschrift über die Grundlage der Moral. Inwieweit orientierte sich N. an
wieder geführte Auseinandersetzung mit einer auf den „Nutzen" gegründeten
Moral konzentrierte sich N. ferner auf die Werke von John Stuart Mill, die er in
deutscher Übersetzung besaß. Einschlägig war besonders Mills Utilitarianism
(Deutsch: Das Nützlichkeitsprinzip).
Vor allem attackierte N. in seinem „Feldzug gegen die Moral" deren christ-
liche Ausformung. Immer wieder kritisiert er aber auch die ethischen Theorien
der vorchristlichen Antike, insbesondere die an der Person des Sokrates orien-
tierten platonischen Lehren und bestimmte Positionen der stoischen Moral;
überdies wendet er sich wiederholt gegen die Pflichtethik Kants und mit Nach-
druck gegen die auf das Gefühl des Mitleids sich berufende Grundlegung der
Moral bei Schopenhauer. Für all dies zog N. religionskritische, philosophie-
und kulturgeschichtliche Darstellungen heran. Wie schon gesagt, war er nur
mit wenigen Originaltexten vertraut. Allerdings lassen sich die Kenntnisse von
Originaltexten und die Übernahmen aus sekundären Darstellungen nicht so
leicht auseinanderhalten, denn auch in den sekundären Werken werden die
primären ,Quellen' immer wieder zitiert oder paraphrasiert. Zwar kann man
mit einiger Sicherheit sagen, dass N. Kant nur aus Philosophiegeschichten und
anderen sekundären Veröffentlichungen kannte, während er mit Schopenhau-
er aufgrund eigenen Studiums vertraut war. Doch gab es auch über Schopen-
hauer, der nach seinem Tod geradewegs zum Mode-Autor aufgestiegen war,
schon eine Flut von sekundären Darstellungen, von denen N. manche zur
Kenntnis nahm. Aufgrund von N.s eklektischem Verfahren lässt sich die Prove-
nienz einer Aussage oft nur punktuell identifizieren, so dass der Begriff „Quel-
le" zu relativieren ist. Hinzukommt, dass fast jede „Quelle" selbst wiederum
Einzugsgebiete hat. Die Komplexität der Quellen-Problematik nimmt noch zu,
wenn etwa sowohl Schopenhauer wie auch Paul Ree sich immer wieder auf
die französischen Moralisten, besonders auf La Rochefoucauld, berufen. Greift
dann Ree auch auf Schopenhauer zurück und rezipiert N. La Rochefoucauld
direkt oder vermittelt durch Ree oder Schopenhauer oder durch beide? Zweifel-
los vertiefte sich N. in die deutsche Pascal-Übersetzung, wie die Lesespuren in
seinem Exemplar erkennen lassen. Inwiefern aber spielen sekundäre Lektüren,
etwa Sainte-Beuves große Darstellung von Port Royal für seine Rezeption von
seiten N.s eine Rolle (Sainte-Beuve 1840-1848)? Und: Schopenhauer, den N.
am besten kannte, hatte nicht nur in den beiden Bänden seines Hauptwerks
und in den Parerga und Paralipomena große Sammlungen von Belegstellen aus
der antiken sowie neuzeitlichen Philosophie und Literatur zu bestimmten The-
men angelegt, sondern auch in den beiden Abhandlungen, die sich mit der
Moral befassen und für N. von besonderem Interesse waren, weil sie Grund-
probleme der Ethik erörtern: die Preisschrift über die Freiheit des Willens und
die Preisschrift über die Grundlage der Moral. Inwieweit orientierte sich N. an