112 Morgenröthe
mit diesem Namen treibt, eine sehr enge, eingefangne, an Ketten gelegte Art
von Geistern, welche ungefähr das Gegentheil von dem wollen, was in unsern
Absichten und Instinkten [!] liegt [...] Sie gehören, kurz und schlimm, unter
die Nivellirer, diese fälschlich genannten ,freien Geister' - als beredte und
schreibfingrige Sklaven des demokratischen Geschmacks und seiner ,moder-
nen Ideen' [...] Was sie mit allen Kräften erstreben möchten, ist das allgemeine
grüne Weide-Glück der Heerde, mit Sicherheit, Ungefährlichkeit, Behagen, Er-
leichterung des Lebens für Jedermann; ihre beiden am reichlichsten abgesung-
nen Lieder und Lehren heissen ,Gleichheit der Rechte' und ,Mitgefühl für alles
Leidende'" (60, 28-61, 20). Er dagegen, wiederum verhüllt ins „wir", fordert
einen „unter langem Druck und Zwang" zum „unbedingten Macht-Willen" ge-
steigerten Lebenswillen: „wir vermeinen, dass Härte, Gewaltsamkeit, Sklaverei
[...] dass alles Böse, Furchtbare, Tyrannische, Raubthier- und Schlangenhafte
am Menschen so gut zur Erhöhung der Species ,Mensch' dient, als sein Gegen-
satz [...] wir sind etwas Anderes als ,libres penseurs', ,liberi pensatori', ,Frei-
denker' und wie alle diese braven Fürsprecher der ,modernen Ideen' sich zu
benennen lieben" (KSA 5, 61, 28-62, 14).
21
33, 19 „Erfüllung des Gesetzes."] Mit diesem Zitat nimmt N. biblische
Wendungen auf. Im Römerbrief des Paulus heißt es: „wer den andern liebt, der
hat das Gesetz erfüllt" (13, 8) und „so ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung"
(13, 10). Im Alten Testament ist das „Gesetz" von maßgeblicher Bedeutung als
Äquivalent für „Thora". Damit sind die fünf Bücher Mose (Pentateuch) mit ih-
ren Sittengesetzen und bis in rituelle Einzelvorschriften reichenden Geboten
gemeint. Später wurde die Vorstellung vom „Gesetz" auf das ganze Alte Testa-
ment ausgeweitet. Der Begriff des Gesetzes ist in der Bibel entsprechend facet-
tenreich und komplex. Man unterscheidet die „apodiktischen" Gesetze, d. h.
die kategorischen Formulierungen etwa im Dekalog, und die „kasuistischen",
d.h. die im engeren Sinn juristischen Gesetze. Oberste Legitimationsinstanz
des „Gesetzes" ist Jahwe. Im Neuen Testament erfährt der Begriff des Gesetzes,
als Inbegriff von Gottes Willen, bei fortdauernder Grundorientierung an seiner
Geltung und an der Forderung nach seiner Erfüllung, eine Verinnerlichung und
Vergeistigung. Dies führt im Grenzfall zu einer Aufhebung des präskriptiven
und insbesondere des formalistischen Gesetzesverständnisses, so wenn es im
Römerbrief heißt (10, 4): „Christus ist des Gesetzes Ende". Vgl. Röm. 2, 28-29:
„Denn das ist nicht ein Jude, der auswendig (έν φανερω) ein Jude ist [...] son-
dern das ist ein Jude, der's inwendig verborgen ist (έν τω κρυπτω); 2 Korinther 6:
mit diesem Namen treibt, eine sehr enge, eingefangne, an Ketten gelegte Art
von Geistern, welche ungefähr das Gegentheil von dem wollen, was in unsern
Absichten und Instinkten [!] liegt [...] Sie gehören, kurz und schlimm, unter
die Nivellirer, diese fälschlich genannten ,freien Geister' - als beredte und
schreibfingrige Sklaven des demokratischen Geschmacks und seiner ,moder-
nen Ideen' [...] Was sie mit allen Kräften erstreben möchten, ist das allgemeine
grüne Weide-Glück der Heerde, mit Sicherheit, Ungefährlichkeit, Behagen, Er-
leichterung des Lebens für Jedermann; ihre beiden am reichlichsten abgesung-
nen Lieder und Lehren heissen ,Gleichheit der Rechte' und ,Mitgefühl für alles
Leidende'" (60, 28-61, 20). Er dagegen, wiederum verhüllt ins „wir", fordert
einen „unter langem Druck und Zwang" zum „unbedingten Macht-Willen" ge-
steigerten Lebenswillen: „wir vermeinen, dass Härte, Gewaltsamkeit, Sklaverei
[...] dass alles Böse, Furchtbare, Tyrannische, Raubthier- und Schlangenhafte
am Menschen so gut zur Erhöhung der Species ,Mensch' dient, als sein Gegen-
satz [...] wir sind etwas Anderes als ,libres penseurs', ,liberi pensatori', ,Frei-
denker' und wie alle diese braven Fürsprecher der ,modernen Ideen' sich zu
benennen lieben" (KSA 5, 61, 28-62, 14).
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33, 19 „Erfüllung des Gesetzes."] Mit diesem Zitat nimmt N. biblische
Wendungen auf. Im Römerbrief des Paulus heißt es: „wer den andern liebt, der
hat das Gesetz erfüllt" (13, 8) und „so ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung"
(13, 10). Im Alten Testament ist das „Gesetz" von maßgeblicher Bedeutung als
Äquivalent für „Thora". Damit sind die fünf Bücher Mose (Pentateuch) mit ih-
ren Sittengesetzen und bis in rituelle Einzelvorschriften reichenden Geboten
gemeint. Später wurde die Vorstellung vom „Gesetz" auf das ganze Alte Testa-
ment ausgeweitet. Der Begriff des Gesetzes ist in der Bibel entsprechend facet-
tenreich und komplex. Man unterscheidet die „apodiktischen" Gesetze, d. h.
die kategorischen Formulierungen etwa im Dekalog, und die „kasuistischen",
d.h. die im engeren Sinn juristischen Gesetze. Oberste Legitimationsinstanz
des „Gesetzes" ist Jahwe. Im Neuen Testament erfährt der Begriff des Gesetzes,
als Inbegriff von Gottes Willen, bei fortdauernder Grundorientierung an seiner
Geltung und an der Forderung nach seiner Erfüllung, eine Verinnerlichung und
Vergeistigung. Dies führt im Grenzfall zu einer Aufhebung des präskriptiven
und insbesondere des formalistischen Gesetzesverständnisses, so wenn es im
Römerbrief heißt (10, 4): „Christus ist des Gesetzes Ende". Vgl. Röm. 2, 28-29:
„Denn das ist nicht ein Jude, der auswendig (έν φανερω) ein Jude ist [...] son-
dern das ist ein Jude, der's inwendig verborgen ist (έν τω κρυπτω); 2 Korinther 6: