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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0143
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128 Morgenröthe

der ,moralischen' Wertung zu entziehen versucht. Hier, in Μ 38, spricht er
nicht mehr von der Verfeinerung durch gesellschaftliche Verhältnisse, sondern
von der Umgestaltung - von der Umkodierung - der Triebe durch moralische
Urteile, die als solche unbegründet seien, aber durch „Sitte" Geltung erlangt
hätten. Indem N. anschließend auf die aus der Unterschiedlichkeit der zur „Sit-
te" gewordenen moralischen Wertschätzungen bei verschiedenen Völkern und
zu verschiedenen Zeiten eingeht, relativiert er zusätzlich alle moralischen Vor-
stellungen und Wertungen.
45, 28-46, 2 So haben die älteren Griechen anders über den Neid empfunden,
als wir; Hesiod zählt ihn unter den Wirkungen der guten, wohlthätigen Eris auf,
und es hatte nichts Anstössiges, den Göttern etwas Neidisches zuzuerkennen:
begreiflich bei einem Zustande der Dinge, dessen Seele der Wettstreit war; der
Wettstreit aber war als gut festgestellt und abgeschätzt.] Hesiod lebte um 700
v. Chr. und ist nach Homer, der im 8. Jahrhundert v. Chr. seine Werke schuf,
der älteste griechische Dichter. Von ihm sind, gemessen an Homers Ilias und
Odyssee, zwei relativ kurze epische Werke überliefert: die Theogonie und die
Werke und Tage. Hesiod nennt in seinem ,Götterstammbaum' nicht weniger als
300 Götter. „König der Götter", der über allem waltet, ist sowohl in der Theogo-
nie wie in den Werken und Tagen Zeus. Dass es in der griechischen Antike
„nichts Anstössiges" hatte, „den Göttern etwas Neidisches zuzuerkennen",
geht am deutlichsten aus Herodots geradezu definitorischer Feststellung her-
vor, in der er das „Göttliche" mit der Unbeständigkeit des Schicksals gleich-
setzt, um dies dann am Geschick des Königs Kroisos zu exemplifizieren. Solon,
einer der Sieben Weisen, belehrt den König, der sich aufgrund seines Reich-
tums für überaus glücklich hält: „Kroisos, der Mann, den du nach dem
menschlichen Leben fragst, weiß, dass die Gottheit ganz und gar neidisch und
unbeständig ist" (τό θεΐον παν έόν φθονερόν τε καί ταραχώδες; I, 32, 1). Schon
in einem nachgelassenen Notat vom Jahr 1876 geht N. auf den Götterneid ein:
,,νεμεσσητικόν ist der Götterneid" (17[58], KSA 8, 307). Eine umfassende Doku-
mentation der Quellen zum Götterneid fand N. in dem von ihm mehrmals aus
der Universitätsbibliothek Basel ausgeliehenen Buch von Karl Lehrs (BUB Nr.
173, Nr. 544, Nr. 553). Es enthält ein ganzes, mit genauen Nachweisen und den
Originalzitaten versehenes Kapitel zur Vorstellung der Griechen über den Neid
der Götter und die Ueberhebung', S. 35-66. Die von N. genannte Eris erscheint
in der Theogonie als ganz und gar negative Göttin. Die finstere Göttin der Nacht
(Nyx) gebiert sie, die Göttin des Streits, neben anderen Übeln, und Eris wieder-
um zeugt nur Übles: „Aber die düstere Eris gebar die peinvolle Mühsal, / Hun-
ger, Vergessenheit auch und tränenerregenden Kummer, / Schlachtgetümmel
und Tötung und Kämpfe und Männergemetzel / Hader und Lug und Trug und
Widerrede und Rede [...]"(Theogonie, V. 226-229).
 
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