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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0159
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144 Morgenröthe

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56, 28 Missbrauch der Gewissenhaften.] Vgl. hierzu den Überblicks-
kommentar S. 35.
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57, 10 Die Gedanken über die Krankheit!] Schon in Μ 52 geht es um
die „Seelenkrankheiten" (56, 25) der Menschen. Im Gegensatz zu den bisheri-
gen verfehlten Therapien, die in den Tröstungen und Heilsversprechungen der
Religion bestanden, sollen sich die Philosophen - nicht wie bisher die Pries-
ter - als „Ärzte der Seele" (56, 18 f.) dieser Krankheiten annehmen. Dass N.
dabei an die explizit psychotherapeutische Philosophie Epikurs und der Stoi-
ker anschließt (hierzu der Überblickskommentar, S. 33 f.), wird in Μ 54 noch
deutlicher, denn hier sagt er gleich anfangs, es gehe darum, die Phantasie des
Kranken zu „beruhigen" - ein vorrangiges Ziel sowohl der epikureischen wie
der stoischen Philosophie ist die Überwindung seelischer Beunruhigungen und
somit die Erreichung der Seelenruhe (άταραξία, tranquillitas animi). Die ab-
schließende Frage in Μ 54: „Versteht ihr nun unsere Aufgabe?" meint diese
psychotherapeutische Aufgabe der Philosophen.

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57, 16 Die „ Wege".] Die Weg-Metaphorik gibt es in vielen Bereichen. Schon
der griechische Begriff der philosophischen „Methode" enthält den des Weges
(όδός); ethische Entscheidungen werden in der Metapher des (richtigen oder
falschen) Weges oder des „Scheidewegs" (in der Fabel des Prodikos) gefasst;
in der Religion gibt es die Vorstellung des Weges zu Gott: des „Heilswegs".
Dass N. an den vom Christentum verkündeten Heilsweg denkt, ergibt sich nicht
nur aus der Kritik am Christentum in der Morgenröthe, sondern auch aus der
Anspielung auf die christliche Heilsbotschaft, deren Bezeichnung als „Evange-
lium", wörtlich übersetzt als „frohe Botschaft", N. direkt übernimmt (57, 18).
Er sieht in ihm den „kürzeren Weg", aber einen, der ins Abseits: ins „Jenseits"
führt. Damit „verliert" der Mensch den Weg, der in N.s philosophischem Kon-
text derjenige der Erkenntnis ist. Die Vorstellung des „kürzeren Wegs" (57, 18)
erscheint nochmals in M 59, dort ausdrücklich auf das Christentum und seine
moralischen Anforderungen bezogen. N. schreibt, dass das Christentum „einen
kürzeren Weg zur Vollkommenheit zu zeigen meinte: ganz so, wie
einige Philosophen sich der mühseligen und langwierigen Dialektik und der
 
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