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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0252
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Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 145 237

158
145, 2 Clima des Schmeichlers.] Dieses Thema nimmt N. aus den Apho-
rismen La Rochefoucaulds auf, der damit seinerseits einen Topos der hofkriti-
schen Literatur weiterträgt. Immer wieder kommt La Rochefoucauld kritisch
auf die Schmeichler, die „flatteurs", zu sprechen. N. überträgt die Schmeichler-
Kritik aus dem alten höfischen Kontext in den zeitgenössischen Kontext von
Kunst und Kapitalismus.
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145, 8 Die Todtenerwecl<er.] La Rochefoucauld traktierte in mehreren
Aphorismen das Thema der Eitelkeit (vanite; vgl. die Nachweise im Überblicks-
kommentar zum dritten Buch). N.s Freund Paul Ree beschäftigte sich in seinem
Werk Der Ursprung der moralischen Empfindungen (1877) intensiv mit der „Ei-
telkeit" der Menschen im Anschluss an die traditionelle Moralistik (in § 5: „Der
Ursprung der Eitelkeit"). N. versucht die Diagnose der Eitelkeit auf einen Be-
reich zu übertragen, dem er sich, nach einem Vorspiel in der Geburt der Tragö-
die, besonders in der zweiten der Unzeitgemäßen Betrachtungen: Über Nutzen
und Nachtheil der Historie für das Leben zugewandt hatte. Darin hatte er die
im 19. Jahrhundert charakteristische Rückwendung zur Vergangenheit, die
schon in der Romantik begann (vgl. 145, 15-17) und dann in einer Fülle von
Geschichtswerken, nicht zuletzt in kulturgeschichtlichen Studien, Ausdruck
fand (vgl. NK 1/1, 363-368 und zu GT 23-25, KSA 1, 146, 10-12), als eine verderb-
lich gegen das „Leben" gerichtete Tendenz kritisiert. Im vorliegenden Text ver-
schärft er „die Gefahr der historischen Studien" (145, 13) zu einem Versuch von
„Todten-Erweckungen" (145, 15). Bei den „Todtenerweckern", den Historikern,
glaubt er insofern eine spezifische Eitelkeit zu entdecken, als er einen An-
spruch auf die Fähigkeit zum Wunderwirken argwöhnt, wie sie Jesus mit sei-
nen Toten-Erweckungen zugeschrieben wurde: „ja sie wollen es [das „Stück
Vergangenheit"] womöglich jetzt wieder von den Todten erwecken" (145, 11 f.).
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145, 19 Eitel, begehrlich und wenig weise.] N. spinnt hier das aus der
Moralistik bekannte Thema der Eitelkeit weiter fort, das er schon in M 159 be-
handelte. Schopenhauer führt in seinen Parerga und Paralipomena I, dort in
den Aphorismen zur Lebensweisheit, Kapitel IV: „Von Dem, was Einer vorstellt"
die Eitelkeit immer wieder auf letztlich leere (im ursprünglichen Wortsinn: eit-
le) Begierden zurück; er betont, dass die Eitlen sich von der Meinung anderer
 
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