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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0260
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Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 150 245

das Leben (KSA 1, 254, 15-26). Niebuhr begründete in seinen Vorlesungen über
die römische Geschichte, die er ab 1810 in Berlin und ab 1823 in Bonn hielt,
die historische Quellenkritik. Sein Hauptwerk, die Römische Geschichte, er-
schien in zwei Bänden 1811/12 und 1832.
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150, 30 Ein Vorbild.] Leitmotivisch begründet N. seine Hochschätzung für
den athenischen Feldherrn und Geschichtsschreiber Thukydides (um 460-396
v. Chr.) sowie für dessen Geschichte des Peloponnesischen Krieges mit dem Inte-
resse des Thukydides für das Typische im geschichtlichen Geschehen und bei
den historischen Akteuren. Dies ist ein oft bemerktes Charakteristikum. Thuky-
dides selbst kennzeichnet bereits mit seinem berühmten Diktum, sein Werk
solle weniger ein „Prunkstück für den Augenblick" als vielmehr ein „Besitz für
alle Zeit" sein (1, 22, 4: κτήμα εις άεί), die Herausmodellierung des Typischen
und gerade deshalb Nützlichen und Zeitüberdauernden. Er macht die besonde-
ren Situationen und die individuellen Personen auf das Allgemeingültige und
Typische hin transparent, damit der Leser aus seiner Darstellung etwas für den
eigenen Umgang mit ähnlichen Ereignissen und Menschen lernen kann (vgl.
2, 48, 3). Alles konkrete Geschehen durchdringt er auf die zeitlos-typischen
Konstellationen und ihre Folgen hin, um die immanente Gesetzlichkeit der ein-
zelnen Vorgänge zu diagnostizieren. Grundlage dieser Art von Geschichts-
schreibung ist die Berufung auf die Natur des Menschen, die trotz aller Varian-
ten wesentlich konstant bleibe. Deshalb fungiert für Thukydides das „mensch-
liche Wesen" (τό ανθρώπινον) als Schlüsselbegriff (z. B. 1, 76, 2; 4, 61, 5; 5, 105,
2). Aufgrund dieses anthropologischen Ansatzes bezeichnet ihn N. als „Men-
schen-Denker" (151, 9 f.). Die Triebkraft, die alles menschliche Handeln be-
stimmt, ist für Thukydides das Streben nach Macht, und Machtverhältnisse
bestimmen für ihn alles Geschehen, wie N. schon in Menschliches, Allzu-
menschliches I 92, mit Berufung auf Thukydides feststellt. Im Kontext der Mor-
genröthe, in der N. das „Gefühl der Macht" als übergreifendes Motiv verfolgt
und damit bereits auf den „Willen zur Macht" zusteuert, ist dies für ihn von
besonderem Interesse, obwohl er im vorliegenden Text nicht darauf eingeht.
Anders als N. stellt Thukydides allerdings auch die Gefahren entarteter Macht-
ausübung dar, besonders in der - mittels der historiographischen Methode der
,Ausschnittvergrößerung' intensivierten - Darstellung der grausamen Macht-
exzesse der Athener gegenüber der Stadt Mytilene (3, 2-50) und noch mehr
gegenüber der Insel Melos, die im Peloponnesischen Krieg ihre Neutralität
wahren wollte: Die Athener töteten in einem grauenvollen Blutbad alle Männer
und versklavten die Frauen und Kinder (5, 84-116). Die Darstellung dieser Art
 
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