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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0262
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Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 150 247

der Abschnitt über die Sophisten: Zeller 1869, Teil I, 851-953). In den Aufzeich-
nungen zu seiner Vorlesung über Die vorplatonischen Philosophen, die N. erst-
mals im Wintersemester 1869-1870 und dann noch mehrere Male in Basel hielt,
berief er sich auf Grote: „Über die Sophisten hat Grote im 67. Capitel aufgeklärt
(4. Bd. M.<eißner>). Nach den gewöhnlichen Begriffen sind sie eine Sekte: nach
ihm eine Klasse, ein Stand. N<ach> d<er> gewöhnlichen Ans<icht> verbreiten sie
demoralisirende Lehren, ,sophistische Grundsätze'. Nach G<rote> waren sie die
regelmäßigen Sittenlehrer, weder über noch unter dem Niveau der Zeit" (KGA
II 4, 357). In seinem späteren Werk schwenkt N. auf Grundpositionen radikaler
Sophisten ein, indem er sich auf das Recht des Stärkeren beruft, wie es Kallik-
les in Platons Gorgias und Thrasymachos in der Politeia vertreten, die Platon
durch den Mund des Sokrates attackiert.
Platons große Wirkung, die er auch mit seiner negativen Darstellung der
Sophistik hatte, thematisiert N. mit dem Satz: „denn nun argwöhnen wir, es
müsse eine sehr unsittliche Cultur gewesen sein, gegen welche ein Plato mit
allen sokratischen Schulen kämpfte!" (151, 17-19) Allerdings ist die Vorstellung
fragwürdig, dass Platon „mit allen sokratischen Schulen" gegen die Sophistik
kämpfte. Denn die als „sokratische Schulen" bezeichneten philosophischen
Schulbildungen beriefen sich zwar alle auf Sokrates als das Musterbild des
„Weisen", aber abgesehen von Platon selbst und seiner Schule, die ihren Sitz
in der ,Akademie' von Athen hatte und noch viele Jahrhunderte nach Platons
Tod existierte, sahen es die anderen philosophischen Schulen nicht als ihre
Aufgabe an, eine sophistische „Cultur" zu bekämpfen: weder die vom ,Peripa-
tos' des Aristoteles ausgehenden Peripatetiker, noch die von Zenon in der ,Stoä
poikile (der „bunten Säulenhalle" von Athen) begründete Schule der Stoiker,
noch die von Epikur ebenfalls in Athen begründete Schule der Epikureer, die
sich in Epikurs ,Garten', im ,Kepos', zusammenfanden. Alle unterhielten einen
Lehrbetrieb, der in der Zeit des Hellenismus weit ausstrahlte im Römischen
Reich. Dieser richtete sich aber nicht gegen die Sophistik, obwohl manche prin-
zipielle Positionen mit Platon gegen die Sophistik übereinstimmten, wenn bei-
spielsweise die Stoiker gegen die sophistische Trennung von Nomos und Phy-
sis an Platons ontologischer Verankerung der Ethik festhielten. N. übergeht
die fundamentale Gemeinsamkeit der „sokratischen Schulen" und auch der
Platonischen Sokrates-Figur mit der Sophistik: die von Sokrates vollzogene
Wendung von naturphilosophischen und im engeren Sinn ,theoretischen'
Grundfragen zur Anthropologie, vor allem zur Sorge um die seelische Befind-
lichkeit. N. scheint aber ein Bewusstsein dieses komplizierten Verhältnisses
von Sokratik und Sophistik gehabt zu haben, denn er relativiert seine Darstel-
lung mit dem abschließenden Satz: „Die Wahrheit ist hier so verzwickt und
verhäkelt, dass es Widerwillen macht, sie aufzudröseln", und er kapituliert so-
 
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