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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0268
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Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 154 253

schritt einer bürgerlichen Welt dient und auch das Individuum zu freierer
Enfaltung führen sollte. Angesichts der Ausbeutung im frühindustriellen Wirt-
schaftssystem, das viele arbeitende Menschen nicht freier und selbstbestimm-
ter machte, sondern im Gegenteil im Dienste des Kapitals versklavte und sie
gleichzeitig infolge der industriellen, dem Maschinentakt unterworfenen Pro-
duktionsweise ihrer Arbeit entfremdete, geriet allerdings der liberale Arbeits-
begriff in eine Krise und mit ihm auch Hegels Versuch in der Phänomenologie
des Geistes, Arbeit spiritualistisch zu überhöhen und in den Prozess des Welt-
geistes zu integrieren. Marx und Engels verkündeten 1848 im Manifest der Kom-
munistischen Partei, es gehe darum, eine Assoziation zu verwirklichen, „worin
die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller
ist" (Marx/Engels 1959, 482). Die Entlastung der Menschen und der Vervielfälti-
gungseffekt durch maschinelle Produktionsprozesse sollte nicht mehr zur Ka-
pitalanhäufung in den Händen weniger und zu einer noch stärkeren Abhängig-
keit der Arbeitenden führen; sie sollte vielmehr durch gerechter verteilte Ge-
winne, geringere Arbeitszeiten und menschenwürdige Arbeitsbedingungen
den Arbeitenden zu einem besseren Leben verhelfen. Doch wandte sich Marx
ausdrücklich gegen die Auffassung, dass Nicht-Arbeit grundsätzlich als „Frei-
heit und Glück", Arbeit dagegen bloß wie in den negativen Arbeitsverhältnis-
sen zur Zeit der Sklaverei und Fronarbeit oder in der modernen Ausbeutungs-
wirtschaft als „äußere Zwangsarbeit" erscheint. Vielmehr war er überzeugt, der
Mensch könne durch eine unter guten gesellschaftlichen Bedingungen geleis-
tete Arbeit seine Selbstverwirklichung finden.
Das Selbstbewusstsein, das sich mit dem Begriff der Arbeit verbinden
konnte und sich durch - wie N. sagt - „Lobredner der Arbeit" artikuliert, deckt
ein politisches Spektrum von links bis rechts ab. In den frühen Berufsvereinen
und Gewerkschaften setzte sich noch z. T. der auf der Handwerkstradition beru-
hende Stolz auf das spezifische Können und die daraus resultierende Anerken-
nung in einer vertrauten Umwelt fort; die Erfahrung der Ausbeutung und das
Elend der Fabrikarbeiter, das auch Schopenhauer empörte (vgl. NK M 132) und
das die sozialistischen und kommunistischen Reaktionen hervorrief, drückte
sich in einem Bewusstsein von revolutionärem Machtpotential aus, so in Georg
Herweghs Bundeslied für den ,Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein' (1864;
Herwegh 1877, 131 ff.), das nach der Darstellung des Elends in die berühmten
Verse mündet:
„Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne Deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn Dein starker Arm es will" (Herwegh 1877, 132).
 
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