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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0280
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Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 165 265

Theodore Agrippa d'Aubigne vor allem im Hinblick auf die ,Einheit der Zeit'
(24 Stunden) realisierte - N. spricht vom „strengsten Zwang der Formen" (165,
4). Den viril-heroischen Zug betont N. mit seiner Berufung auf Madame de Se-
vigne, die Corneille nach N.s Lesart als „einem ganzen Manne" gehuldigt
habe (164, 28).
N.s voluntaristischer Aristokratismus, der alsbald in der Darstellung adli-
ger Vornehmheit in M 201 zum Ausdruck kommt, prägt sich hier u. a. in den
Begriffen von „Stolz" und „Ritterlichkeit" aus. Schopenhauer hatte sich in sei-
nen Aphorismen zur Lebensweisheit unter dem Vorzeichen der Eitelkeit gerade
gegen die Pose der von N. gepriesenen „Ritterlichkeit" und „Vornehmheit" ge-
wandt (Kapitel IV: „Von dem, was Einer vorstellt", Schopenhauer 1874, Bd. 5,
373-429). N.s Aristokratismus, mit dem er sich immer wieder gegen die ,moder-
ne' Gesellschaft, insbesondere gegen ihre demokratischen Tendenzen absetzen
wollte, entsprach einer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreiteten
Sehnsucht des Bürgertums nach Nobilitierung. N. selbst gab sich gerne der
Phantasie hin, er sei Nachkomme polnischer Adliger; in Ecce homo nennt er
sich geradezu einen „polnischen Edelmann" (KSA 6, 268, 3)!
192
165, 12 Sich vollkommene Gegner wünschen.] Im Zuge seiner Hinwen-
dung zur Aufklärung seit der Aphorismensammlung Menschliches, Allzu-
menschliches, an deren Anfang er programmatisch Voltaire huldigt und Descar-
tes' Bekenntnis zur Vernunft zitiert, wuchs auch N.s Interesse an nicht aufkläre-
rischen französischen Autoren. Durch diese verstärkte Beschäftigung mit der
französischen Kultur arbeitete er auch die Deutschtümelei ab, mit der er Wag-
ner in der Geburt der Tragödie noch gefolgt war. Sie hatte in der patriotischen
Hochstimmung während der Zeit des deutsch-französischen Kriegs von 1870/
71 kulminiert. Zugleich erbitterten N. die vernichtenden Kritiken, die seine Erst-
lingsschrift in Deutschland hervorgerufen hatte. Auch aufgrund der in
Deutschland weiterhin ausbleibenden Resonanz auf seine folgenden Schriften
wandte er sich mit gezielt antideutschen Äußerungen, die in Frankreich An-
klang finden sollten und auch tatsächlich fanden, immer mehr der französi-
schen Literatur zu, zumal diese eine große Ausstrahlungskraft hatte und Paris
die europäische Kulturhauptstadt war. Zwar hatte sich N. schon früher für den
im vorliegenden Text genannten Pascal interessiert, aber alles andere ist kaum
mehr als ,Namedropping' am Leitfaden einer Darstellung des dänischen Theo-
logen Hans Lassen Martensen: Die christliche Ethik. Allgemeiner Theil, zweite
verbesserte Auflage, Gotha 1873. In einer für N.s Rhetorik charakteristischen
Anaphernkette („Da steht Pascal [...] Da steht Fenelon [...] Da steht Frau von
 
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