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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0316
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Stellenkommentar Viertes Buch, KSA 3, S. 197-198 301

aufgeklärter Humanität in England propagiert: von Jeremy Bentham (1748-
1832) und von John Stuart Mill, dessen Werk Utilitarianism 1863 erschien. Mit
ihm setzte sich N. ebenso wie mit anderen Werken Mills aufgrund der zeitge-
nössischen Aktualität dieser Theorie intensiv auseinander. Hierzu genauer der
Kommentar zu M 106.
231
198, 4 Von der deutschen Tugend.] „das Schlichte als das Schlech-
te" (198, 6 f.): Ursprünglich hatte das Wort „schlecht" wertneutral die Bedeu-
tung: „eben", „gerade", „einfach". Nachdem es seit dem 15. Jahrhundert von
der Nebenform „schlicht" abgelöst worden war, erfuhr das Wort „schlecht"
im 17. Jahrhundert eine Bedeutungsverschiebung zu „gering", „minderwertig".
Diese pejorative Besetzung ging schließlich auch in die heutige moralische
Wertung „schlecht" im Sinne von „böse" über. In den Schriften Jenseits von
Gut und Böse und Zur Genealogie der Moral wechselt N. zur entgegengesetzten
Auslegung dieser Wortgeschichte. Während er im vorliegenden Text das Ver-
ständnis des „Schlichten" als des „Schlechten" den Deutschen als moralischen
Hochmut ankreidet, der von einer sklavischen Unterwürfigkeit vor „Würden,
Ständen" zeuge, macht er sich in den beiden späteren Schriften gerade einen
solchen „Hochmut" zu eigen, um vom Standpunkt des Aristokratismus aus die
einstige ständische Wertung als die richtige gegenüber der jetzigen ,morali-
schen' anzuerkennen - vgl. in der Schrift Jenseits von Gut und Böse das neunte
Hauptstück: „Was ist vornehm?", in der Genealogie der Moral die „Erste Ab-
handlung: ,Gut und Böse', ,Gut und Schlecht'".
232
198, 12 Aus einer Disputation.] Wie in einer Reihe anderer Texte, so
schon wieder in M 234, wählt N. eine dialogische Struktur, um eine Pointe
dialektisch auf kürzestem Wege zu erzielen oder um perspektivische Formen
der Wahrnehmung und Wertung zu inszenieren. Im vorliegenden Text besteht
die Pointe darin, dass langes Reden schon als Selbstwiderlegung gilt. Dies
dient zur Legitimation der aphoristischen Kurzform, deren Rahmen N. selbst
freilich oft genug sprengt.
233
198, 16 Die „Gewissenhaften".] Die Herleitung von „Gewissenhaftigkeit"
aus „vielen erbärmlichen Empfindungen", also die Zurückführung eines
 
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