Stellenkommentar Viertes Buch, KSA 3, S. 208-210 311
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209, 12 Warum so erhaben!] Unter dem Eindruck von Darwins Werk über
die Abstammung des Menschen hatte sich N. bereits in Μ 31 gegen das „Vorur-
theil" einer grundsätzlich höheren „Natur" des Menschen gewandt.
262
209, 18 Der Dämon der Macht.] Hier greift N. das wiederholt und leitmotiv-
artig traktierte Thema der „Macht" auf, das er meistens als „Gefühl der Macht"
über alles stellt und nun als „Liebe zur Macht" geradezu zum „Alles" bestim-
menden „Dämon" der Menschen erklärt. In seinem Zitat verkürzt N. die letzte
Strophe eines der bekanntesten Kirchenlieder, die Luther gedichtet hat; es ist
auch in das Evangelische Kirchengesangbuch eingegangen: Ein feste Burg ist
unser Gott. Der vollständige Text lautet: „Nemen sie den leib, / gut, ehr, kind
und weib, / las faren da hin, / sie habens kein gewin, / das reich muß uns
doch bleiben". Zum Lied und N.s Verwendung ausführlich NK 6/1, 121, 5 f.
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210, 2 Der Widerspruch leibhaft und beseelt.] Die Widersprüchlich-
keiten und Gegenläufigkeiten des Lebens, die N. gelegentlich bis zur Darstel-
lung von Paradoxien steigert, konzentriert er hier auf die besonders intensive
Ausprägung im Genie, das er aber subversiv als „sogenanntes Genie" bezeich-
net (210, 3) - entsprechend der nunmehr vollzogenen radikal aufklärerischen
Kritik und Desillusionierung seiner eigenen früheren Genie-Idolatrie. Diese
Desillusionierung kommt hier durch die Reduktion auf einen „physiologi-
schen" Widerspruch zum Ausdruck: auf chaotisch unkoordinierte Bewegungs-
abläufe, die dann allerdings durch den „Spiegel" (210, 6) der Reflexion als
solche wahrgenommen werden. Die Rückführung geistig-,moralischer' Vorgän-
ge auf „unwillkürliche Bewegungen" übernimmt N. aus Johann Julius Bau-
manns Handbuch der Moral, einer seiner Hauptquellen für die Morgenröthe;
vgl. insbesondere Baumann 1879, 14-16. Allgemeinere Grundlage ist für Bau-
mann die Physiologie, von der aus er die ,moralischen' Phänomene erklärt.
Daher N.s gleich am Beginn exponierter Hinweis auf physiologische Vorgänge.
Generell ist die schon auf radikale Aufklärer des 18. Jahrhunderts, aber auch
auf Schopenhauer zurückreichende physiologische Reduktion eine der Haupt-
strategien N.s zur Kritik der „moralischen Vorurtheile". Vgl. Μ 539 und NK
hierzu.
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209, 12 Warum so erhaben!] Unter dem Eindruck von Darwins Werk über
die Abstammung des Menschen hatte sich N. bereits in Μ 31 gegen das „Vorur-
theil" einer grundsätzlich höheren „Natur" des Menschen gewandt.
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209, 18 Der Dämon der Macht.] Hier greift N. das wiederholt und leitmotiv-
artig traktierte Thema der „Macht" auf, das er meistens als „Gefühl der Macht"
über alles stellt und nun als „Liebe zur Macht" geradezu zum „Alles" bestim-
menden „Dämon" der Menschen erklärt. In seinem Zitat verkürzt N. die letzte
Strophe eines der bekanntesten Kirchenlieder, die Luther gedichtet hat; es ist
auch in das Evangelische Kirchengesangbuch eingegangen: Ein feste Burg ist
unser Gott. Der vollständige Text lautet: „Nemen sie den leib, / gut, ehr, kind
und weib, / las faren da hin, / sie habens kein gewin, / das reich muß uns
doch bleiben". Zum Lied und N.s Verwendung ausführlich NK 6/1, 121, 5 f.
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210, 2 Der Widerspruch leibhaft und beseelt.] Die Widersprüchlich-
keiten und Gegenläufigkeiten des Lebens, die N. gelegentlich bis zur Darstel-
lung von Paradoxien steigert, konzentriert er hier auf die besonders intensive
Ausprägung im Genie, das er aber subversiv als „sogenanntes Genie" bezeich-
net (210, 3) - entsprechend der nunmehr vollzogenen radikal aufklärerischen
Kritik und Desillusionierung seiner eigenen früheren Genie-Idolatrie. Diese
Desillusionierung kommt hier durch die Reduktion auf einen „physiologi-
schen" Widerspruch zum Ausdruck: auf chaotisch unkoordinierte Bewegungs-
abläufe, die dann allerdings durch den „Spiegel" (210, 6) der Reflexion als
solche wahrgenommen werden. Die Rückführung geistig-,moralischer' Vorgän-
ge auf „unwillkürliche Bewegungen" übernimmt N. aus Johann Julius Bau-
manns Handbuch der Moral, einer seiner Hauptquellen für die Morgenröthe;
vgl. insbesondere Baumann 1879, 14-16. Allgemeinere Grundlage ist für Bau-
mann die Physiologie, von der aus er die ,moralischen' Phänomene erklärt.
Daher N.s gleich am Beginn exponierter Hinweis auf physiologische Vorgänge.
Generell ist die schon auf radikale Aufklärer des 18. Jahrhunderts, aber auch
auf Schopenhauer zurückreichende physiologische Reduktion eine der Haupt-
strategien N.s zur Kritik der „moralischen Vorurtheile". Vgl. Μ 539 und NK
hierzu.