Stellenkommentar Viertes Buch, KSA 3, S. 214-215 321
waltsame Eingriffe zielende Konzeptionen (vgl. Koch 1973, bes. 87 ff. Mit diffe-
renzierter Bibliographie).
273
214, 13 Das Loben.] Wie das Schmeicheln gehört das Loben zum kritischen
Themenfeld der Moralistik, die hinter dem äußeren Anschein des Wohlwollens
von Seiten des Lobenden verborgene egoistische Motive zu entdecken sucht.
Vgl. schon Μ 228 und M 259. In einem nachgelassenen Notat vom Sommer 1880
heißt es: „Widerlich! Jemand kommt uns mit einem Lobspruch entgegen, er
will uns damit für sich einnehmen d. h. er will von uns Besitz ergreifen, weil
er glaubt, daß wir dem Lobenden eine freie Hand machen. Aber der Lobende
stellt sich über uns, er will uns besitzen - es ist unser Feind" (2[73], KSA 9,
45).
274
214, 25 Menschenrecht und -vorrecht.] Die menschliche Fähigkeit zur
Selbstnegation war N. schon von Schopenhauer her vertraut, dessen Pessimis-
mus in nihilistische Konsequenzen einmündet. Am entschiedensten zeigt dies
das Ende von dessen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung I. Dort lautet
das letzte, emphatisch herausgehobene Wort: „Nichts"; Schopenhauer stellt
ausdrücklich den Bezug zum buddhistischen Nirwana her. Dass N. diese
menschliche Fähigkeit zur Selbstnegation mit Hilfe der Vorstellung verdeut-
licht, der Mensch sei das Wesen, das „sich selber durchstreichen" kann, evo-
ziert eine zentrale Szene aus Jean Pauls Roman Titan. Darin verkörpert die
Figur des Schoppe Fichtes Ich-Philosophie, die Jean Paul aufgrund ihres von
ihm als ruinös aufgefassten Subjektivismus letztlich in Selbstnegation um-
schlagen lässt. Schoppes Selbstporträt zeigt ihn grimassierend, mit durchge-
strichenem Antlitz.
275
215, 2 Der Verwandelte.] Immer wieder entlarvt N. im Zusammenhang mit
seiner generellen Moralkritik - und unter Rückgriff auf Denkmuster der älteren
Moralistik - den zum moralischen Vorbild erhobenen ,tugendhaften' Menschen
als gerade nicht tugendhaft. Hier geht er noch weiter, indem er einen Men-
schen, der früher gar nicht tugendhaft war, ,tugendhaft'werden lässt, nur um
Anderen wehe zu tun, also um sich das „Gefühl der Macht" zu verschaffen.
waltsame Eingriffe zielende Konzeptionen (vgl. Koch 1973, bes. 87 ff. Mit diffe-
renzierter Bibliographie).
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214, 13 Das Loben.] Wie das Schmeicheln gehört das Loben zum kritischen
Themenfeld der Moralistik, die hinter dem äußeren Anschein des Wohlwollens
von Seiten des Lobenden verborgene egoistische Motive zu entdecken sucht.
Vgl. schon Μ 228 und M 259. In einem nachgelassenen Notat vom Sommer 1880
heißt es: „Widerlich! Jemand kommt uns mit einem Lobspruch entgegen, er
will uns damit für sich einnehmen d. h. er will von uns Besitz ergreifen, weil
er glaubt, daß wir dem Lobenden eine freie Hand machen. Aber der Lobende
stellt sich über uns, er will uns besitzen - es ist unser Feind" (2[73], KSA 9,
45).
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214, 25 Menschenrecht und -vorrecht.] Die menschliche Fähigkeit zur
Selbstnegation war N. schon von Schopenhauer her vertraut, dessen Pessimis-
mus in nihilistische Konsequenzen einmündet. Am entschiedensten zeigt dies
das Ende von dessen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung I. Dort lautet
das letzte, emphatisch herausgehobene Wort: „Nichts"; Schopenhauer stellt
ausdrücklich den Bezug zum buddhistischen Nirwana her. Dass N. diese
menschliche Fähigkeit zur Selbstnegation mit Hilfe der Vorstellung verdeut-
licht, der Mensch sei das Wesen, das „sich selber durchstreichen" kann, evo-
ziert eine zentrale Szene aus Jean Pauls Roman Titan. Darin verkörpert die
Figur des Schoppe Fichtes Ich-Philosophie, die Jean Paul aufgrund ihres von
ihm als ruinös aufgefassten Subjektivismus letztlich in Selbstnegation um-
schlagen lässt. Schoppes Selbstporträt zeigt ihn grimassierend, mit durchge-
strichenem Antlitz.
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215, 2 Der Verwandelte.] Immer wieder entlarvt N. im Zusammenhang mit
seiner generellen Moralkritik - und unter Rückgriff auf Denkmuster der älteren
Moralistik - den zum moralischen Vorbild erhobenen ,tugendhaften' Menschen
als gerade nicht tugendhaft. Hier geht er noch weiter, indem er einen Men-
schen, der früher gar nicht tugendhaft war, ,tugendhaft'werden lässt, nur um
Anderen wehe zu tun, also um sich das „Gefühl der Macht" zu verschaffen.