Stellenkommentar Viertes Buch, KSA 3, S. 225 333
aber kann man ,Realist' sein, wenn man die „Wirklichkeit" als „unergründlich"
ausgibt, statt sie geschichtlich zu verstehen, naturwissenschaftlich zu erklären
und praktisch zu erfassen? In M 328 weist N. auf eine kompensatorische Funk-
tion des Realismus hin.
Wie das Werk Denken und Wirklichkeit von Afrikan Spir erwarb N. für seine
persönliche Bibliothek das ebenfalls unter dem Leitthema der „Wirklichkeit"
stehende Buch von Otto Liebmann: Zur Analysis der Wirklichkeit. Eine Erörte-
rung der Grundproblematik der Philosophie (1880). Er arbeitete es intensiv
durch, wie die zahlreichen Lesespuren zeigen (vgl. NPB 357-359). In der Schrift
Jenseits von Gut und Böse rückt N. entschieden von den „Wirklichkeitsphiloso-
phen" ab (Sechstes Hauptstück: wir Gelehrten, JGB 204): „Es ist in Sonderheit
der Anblick jener Mischmasch-Philosophen, die sich Wirklichkeits-Philoso-
phen' oder ,Positivisten' nennen, welcher ein gefährliches Misstrauen in die
Seele eines jungen, ehrgeizigen Gelehrten zu werfen im Stande ist: das sind ja
besten Falls selbst Gelehrte und Spezialisten, man greift es mit Händen! - das
sind ja allesammt Überwundene und unter die Botmässigkeit der Wissenschaft
Zurückgebrachte, welche irgendwann einmal mehr von sich gewollt ha-
ben, ohne ein Recht zu diesem ,mehr' und seiner Verantwortlichkeit zu ha-
ben - und die jetzt, ehrsam, ingrimmig, rachsüchtig, den Unglauben an
die Herren-Aufgabe und Herrschaftlichkeit der Philosophie mit Wort und That
repräsentiren" (KSA 5, 131, 16-27).
308
225, 9 f. Sich nicht auf den Handel verstehen ist vornehm.] Vgl. Μ
175: „Grundgedanke einer Cultur der Handeltreibenden". Zum
Thema der Vornehmheit vgl. Μ 199: „Wir sind vornehmer" und M 201:
„Zukunft des Adels" sowie NK M 175 und NK M 199.
309
225, 16 Furcht und Liebe.] In der Moralistik, in deren Bahnen sich N. be-
wegt, gehören Furcht und Liebe zu den Gefühlen, die den Menschen zur realis-
tischen „Einsicht" oder zur Täuschung disponieren. (Selbst-)Täuschung und
die zur Desillusionierung führende Ent-täuschung (desengano) sind insbeson-
dere Themen der spanischen Moralistik, mit der N. durch Schopenhauers Über-
setzung von Graciäns Oraculo manual vertraut war, und auch des spanischen
Romans, etwa des Don Quixote, den N. an anderer Stelle erwähnt (vgl. Μ 114).
aber kann man ,Realist' sein, wenn man die „Wirklichkeit" als „unergründlich"
ausgibt, statt sie geschichtlich zu verstehen, naturwissenschaftlich zu erklären
und praktisch zu erfassen? In M 328 weist N. auf eine kompensatorische Funk-
tion des Realismus hin.
Wie das Werk Denken und Wirklichkeit von Afrikan Spir erwarb N. für seine
persönliche Bibliothek das ebenfalls unter dem Leitthema der „Wirklichkeit"
stehende Buch von Otto Liebmann: Zur Analysis der Wirklichkeit. Eine Erörte-
rung der Grundproblematik der Philosophie (1880). Er arbeitete es intensiv
durch, wie die zahlreichen Lesespuren zeigen (vgl. NPB 357-359). In der Schrift
Jenseits von Gut und Böse rückt N. entschieden von den „Wirklichkeitsphiloso-
phen" ab (Sechstes Hauptstück: wir Gelehrten, JGB 204): „Es ist in Sonderheit
der Anblick jener Mischmasch-Philosophen, die sich Wirklichkeits-Philoso-
phen' oder ,Positivisten' nennen, welcher ein gefährliches Misstrauen in die
Seele eines jungen, ehrgeizigen Gelehrten zu werfen im Stande ist: das sind ja
besten Falls selbst Gelehrte und Spezialisten, man greift es mit Händen! - das
sind ja allesammt Überwundene und unter die Botmässigkeit der Wissenschaft
Zurückgebrachte, welche irgendwann einmal mehr von sich gewollt ha-
ben, ohne ein Recht zu diesem ,mehr' und seiner Verantwortlichkeit zu ha-
ben - und die jetzt, ehrsam, ingrimmig, rachsüchtig, den Unglauben an
die Herren-Aufgabe und Herrschaftlichkeit der Philosophie mit Wort und That
repräsentiren" (KSA 5, 131, 16-27).
308
225, 9 f. Sich nicht auf den Handel verstehen ist vornehm.] Vgl. Μ
175: „Grundgedanke einer Cultur der Handeltreibenden". Zum
Thema der Vornehmheit vgl. Μ 199: „Wir sind vornehmer" und M 201:
„Zukunft des Adels" sowie NK M 175 und NK M 199.
309
225, 16 Furcht und Liebe.] In der Moralistik, in deren Bahnen sich N. be-
wegt, gehören Furcht und Liebe zu den Gefühlen, die den Menschen zur realis-
tischen „Einsicht" oder zur Täuschung disponieren. (Selbst-)Täuschung und
die zur Desillusionierung führende Ent-täuschung (desengano) sind insbeson-
dere Themen der spanischen Moralistik, mit der N. durch Schopenhauers Über-
setzung von Graciäns Oraculo manual vertraut war, und auch des spanischen
Romans, etwa des Don Quixote, den N. an anderer Stelle erwähnt (vgl. Μ 114).