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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0354
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Stellenkommentar Viertes Buch, KSA 3, S. 230-232 339

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231, 26 Abseits leben und glauben.] Mit dem Begründer des Methodis-
mus John Wesley (1703-1791) und dem mit ihm kooperierenden Peter Böhler
(1712-1775) war N. durch das in seiner persönlichen Bibliothek erhaltene Buch
von William Edward Hartpole Lecky informiert: Entstehungsgeschichte und
Charakteristik des Methodismus (1880). Dort steht der am Ende des vorliegen-
den Textes zitierte Rat Böhlers an Wesley auf S. 40 (vgl. Lecky 1879-1883, 600).
John Wesley erlebte 1738 als anglikanischer Geistlicher eine Bekehrung zum
Geist der Evangelischen Brüdergemeinde. Mit missionarischem Eifer predigte
er den Methodismus, der sich in England und auch in den Vereinigten Staaten
weit ausbreitete: als Erweckungsbewegung, die sich gegen die dogmatische
Erstarrung der Anglikanischen Kirche wandte. Nach Wesleys Tod trennten sich
die Methodisten von der Anglikanischen Kirche; sie bekannten sich zu den
Grundsätzen der Reformation und betonten die Universalität von Sünde und
göttlicher Gnade. Die persönliche Heilsgewissheit, die nach ihrer Überzeugung
durch die Bekehrung vermittelt wird, verbanden sie mit dem Streben nach ei-
ner heiligenden Lebensführung. - Peter Böhler, ein führender Geistlicher der
angelsächsischen Brüdergemeinden, kam aus dem Umkreis des Grafen Niko-
laus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760), der die pietistischen Herrnhuter Brü-
dergemeinden begründet hatte. Die Rede vom Abseitsleben als Bedingung fürs
Prophetentum enthält auch eine selbstreflexive Komponente - vgl. N.s Be-
kenntnis zur „Einsamkeit" (Μ 323) und seine Selbst-Stilisierung zum Propheten
unter der Zarathustra-Maske.
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232, 7 Seine Umstände kennen.] Aufgrund seiner oft zu Erschöpfungs-
und Schwächezuständen führenden Krankheit wurde für N. „Kraft" (232, 8)
ebenso wie der aus Ohnmachtsgefühlen kommende Wunsch nach einem „Ge-
fühl der Macht" zum wichtigen Thema - nicht nur in der Morgenröthe. Ängst-
lich und geradezu mit obsessiver Selbstbeobachtung war N. bemüht, möglichst
günstige „Umstände" für seine „Leistungsfähigkeit" zu finden. In dem von ihm
studierten Handbuch der Moral von Johann Julius Baumann konnte er lesen:
„Alle Werthgefühle überhaupt sind ein Bewußtsein von Erhöhung des Lebens,
von Steigerung der Kraft" (Baumann 1879, 60).
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232, 16 Eine Fabel.] Mit der Vorstellung von einem „Don Juan der Erkennt-
niss" (232, 16) überträgt N. die Fabel von Don Juan, der aus Lust an seinen
Verführungskünsten Jagd auf Frauen macht und sie verführt ohne sie zu lie-
 
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