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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0466
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Stellenkommentar Fünftes Buch, KSA 3, S. 330 451

572
330, 17 Das Leben soll uns beruhigen.] Hier führt N. seine Meditation
über therapeutische Aspekte von Epikurs Lebenshaltung fort, auf die er schon
kurz vorher - in Μ 563 und Μ 566 - reflektiert hatte. Wie in Μ 566 bezieht er
sie auf die dem „Denker" zuträglichste Lebensweise, d. h. auf sich selbst. Im
weiteren Sinne gehört das Nachdenken über Epikurs Lebenshaltung zu seiner
häufig wiederkehrenden Suche nach der richtigen ,Diät' (griech. ,δίαιτα ' heißt
,Lebensweise'), insbesondere der vom Arzt verordneten. Für Epikur ist die Ver-
meidung seelischer Beunruhigung, etwa die Beherrschung „rasender Begier-
den", ein zentrales Anliegen. „Lösung von der Unruhe der Seele" empfiehlt er
am Ende der von ihm überlieferten Spruchsammlung, in der es kurz vorher
heißt: „Wer in sich selbst beruhigt ist, der wird auch dem andern nicht zur
Last" (ό άτάραχος έαυτω καί έτέρω άόχλητος). Epikurs Lehrbrief an Herodotos
hebt auf die richtige Naturerkenntnis ab, die von abergläubischen Vorstellun-
gen und damit von Beunruhigungen befreit. Hierauf bezieht sich N.s Rede von
den „Dingen, die es gar nicht giebt". Wie schon in Μ 563 meint er
den auf ein imaginäres Jenseits gerichteten Aberglauben, der „die Menschen so
verstört" (328, 8 f.). In M 572 hält er sich an einen anderen Aspekt von Epikurs
Hochschätzung seelischer „Beruhigung und Stille" (330, 20 f.), indem er eine
Lebensweise favorisiert, welche die aus den inneren, seelisch-geistigen Turbu-
lenzen des „Denkers" entstehenden Beunruhigungen ausgleicht. Ein solches
einfaches, nicht von schwer erfüllbaren oder sogar unerfüllbaren Ansprüchen
getriebenes „Leben" kultivierte Epikur durch den Rückzug in den ,Kepos', in
den „Garten".

573
330, 24 Sich häuten.] Eine ,Häutung' im Sinne des radikalen Wechsels von
Wertungen und Meinungen rechtfertigt N. im Rückblick auf seine eigene intel-
lektuelle Biographie. In M 56 („Der Apostat des freien Geistes") heißt
es vom „freien Geist": „wie wenig erscheint ihm das Verändern seiner Mei-
nungen an sich als verächtlich! Wie verehrt er umgekehrt in der Fähigkeit,
seine Meinungen zu wechseln, eine seltene und hohe Auszeichnung, nament-
lich wenn sie bis in's Alter hineinreicht" (58, 13-18). Von einer weitgehenden
Identifikation mit Schopenhauers und Wagners Positionen im Frühwerk hatte
er sich schon in Menschliches, Allzumenschliches zugunsten einer aufkläreri-
schen Geisteshaltung abgewandt, die sich in der Morgenröthe noch fortsetzt
(vgl. hierzu den Überblickskommentar zum „Stellenwert der Tragödienschrift
im Gesamtwerk" in NK 1/1, S. 62-72). In M 554 fasst N. seine ,Häutungen' als
 
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