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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0502
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Überblickskommentar 487

in der Musikdramatik Wagners gebannt, dem damit - als dem mächtigen Über-
winder der herkömmlichen Oper - eine anti-idyllische Tendenz attestiert wird.
Bemerkenswert erscheint indes, dass N., ebenfalls im Ausgang von Schil-
ler, in der Entstehungszeit seiner Tragödienschrift noch eine andere, positiv
konnotierte Idyllen-Konzeption erprobt, die gerade Wagner als sentimentali-
schen Idylliker erscheinen lässt. So heißt es in einem Nachlass-Notat aus dem
Jahr 1871: „Richard Wagner das Idyll der Gegenwart: die unvolksthümliche
Sage, der unvolksthümliche Vers, und doch deutsch Beides. Wir erreichen nur
noch das Idyll. Wagner hat die Urtendenz der Oper, die idyllische, bis zu
ihren Consequenzen geführt: die Musik als idyllische (mit Zerbrechung der For-
men), das Recitativ, der Vers, der Mythus. Dabei haben wir die höchste senti-
mentalische Lust: nie ist er naiv. - Ich denke an den Schillerschen Gedanken
über eine neue Idylle." (NL 1871, 9[149], KSA 7, 329, 17-24) Wagner wird hier
weniger als Überwinder denn als Vollender und Radikalisierer der idyllischen
Tendenz der Oper begriffen; seine künstlich nachgeahmte Volkstümlichkeit',
was die Sage/den Mythos und die Sprache seiner Musikdramen betrifft, er-
scheint als Ausweis der sentimentalischen Idylle im Sinne Schillers. Allerdings
treibe die bei Wagner konstatierte Radikalisierung der Idylle zugleich deren
optimistische Komponente aus und ersetze sie durch eine pessimistische: Zwar
gehe es auch Wagner um die ,Rückkehr zur Natur', aber die Natur selbst werde
dabei nicht als heiter-harmonische verstanden, sondern gemäß Schopenhauers
Fundamentaltheorem vom metaphysischen Leidensgrund der Welt als
,schreckliche' Natur. So gelangt N. zum Konzept einer „tragische [n] Idyl-
le" (NL 1871, 9[149], KSA 7, 330, 34-331, 1). Wohl auch mit Blick auf Wagners
Siegfried-Idyll, bei dessen Uraufführung 1870 in Tribschen N. anwesend war
und das er noch im Spätwerk „aus drei Gründen", die indes nicht genannt
werden, von aller Kritik ausnimmt (EH Warum ich so klug bin 7, KSA 6, 291,
3 f.), notiert er: „Der ,Siegfried' z. B. gehört zur Idylle, Natur und Ideal ist wirk-
lich, darüber freut man sich. Dabei ist nun der Wagnersche Begriff der Natur
ein tragischer [...]. Wir freuen uns an Tristan, selbst an seinem Tode, weil
diese Natur und dieses Ideal wirklich ist." (NL 1871, 9[142], KSA 7, 327, 7-11)
Dieser Konzeption entsprechend, notiert sich N. in einem weiteren Frag-
ment aus derselben Zeit auch den Plan, den „Schillersche[n] Spaziergang
zu benutzen, um das Idyllische darzulegen, mit seiner Umarmung der Natur
nach dem höchsten Schrecken." (NL 1871, 9[76], KSA 7, 302, 5-7) Den Natur-
Kult, der nach der damaligen Auffassung N.s den Grundzug der neueren Kunst
ausmacht, wertet er also durchaus positiv, sofern die Natur ,richtig' begriffen
werde, nämlich nicht ,romanisch' als schöne, sondern ,germanisch' als
schreckliche Natur (im Hintergrund steht hier die von Wagner übernommene
Kategorie des „Erhabenen", die schon von Kant mit dem ,Germanischen' asso-
 
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