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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0554
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Stellenkommentar Vogel-Urtheil, KSA 3, S. 342 539

Zyklus: Das lyrische Ich erweist sich als identisch mit dem darin sprechenden
„Prinzen Vogelfrei", der seinerseits über dem Meer schwebt: Von dort aus er-
blickt er den Vogel Albatros, der noch viel höher fliegt. Für derartige Abstufun-
gen und ,Höhenunterschiede' hatte N. eine ausgeprägte Vorliebe. Unterschei-
det er schon um 1880 zwischen „höhere[n] und niedere[n] Menschen" (NL
1881, 12[41], KSA 9, 583, 22-24), so differenziert er im 1885 erschienenen Vier-
ten und letzten Theil' von Also sprach Zarathustra im Kapitel „Vom höheren
Menschen" (KSA 4, 356-368) auch noch zwischen den „höheren Menschen"
und dem „Übermenschen": Während jene schon über den „niederen Men-
schen" stehen, übersteigt sie selbst noch der „Übermensch".
342, 5 0 Vogel Albatross!} Nachdem bisher nur in der dritten Person über den
Albatros geredet wurde, apostrophiert der poetische Sprecher ihn nun direkt
in der zweiten Person. Die hymnische Interjektion „0" signalisiert affektive
Betroffenheit.
342, 6 Zur Höhe treibt's mit ew'gem Triebe mich!] Nun erst tritt das lyrische
Ich explizit hervor und bezieht gegen Ende des Gedichts das zuvor Gesagte
auf sich selbst. Der vorliegende Vers bringt die nachträgliche Erklärung dafür,
weshalb es sich so sehr für den Höhenflug des Albatros interessierte: Es hat
seinerseits den ,ewigen Trieb' zur „Höhe", in welcher der Vogel mühelos
schwebt. Dieser fungiert als Vorbild für das sprechende Ich. Dass der Trieb als
,ewiger Trieb' charakterisiert wird, deutet freilich schon darauf hin, dass er
niemals befriedigt werden kann, was denn auch den Hintergrund für die beide
Schlussverse bildet.
342, 7 f. Ich dachte dein: da floss I Mir Thrän' um Thräne - ja, ich liebe dich!]
Der (in der Vergangenheitsform gehaltene) Bericht von den Tränen, die der
poetische Sprecher im Gedenken an den Vogel Albatros vergossen hat, zielt
nicht etwa auf Trauer um diesen, sondern um die eigene Situation, die mit
dessen Schweben in höchster Höhe kontrastiert: Das Ich kennt nur das unstill-
bare Verlangen, die unerfüllbare Sehnsucht nach solchem Höhenflug. Insofern
verbindet sich mit der ,Liebeserklärung' an den Albatros zugleich ein spezifi-
scher ,Liebeskummer': die Einsicht in die Unerreichbarkeit des Geliebten. Der
spätere Titel Liebeserklärung (bei der aber der Dichter in eine Grube fiel -) ver-
größert diese - bereits in der Erstfassung zum Ausdruck kommende - Distanz
zwischen dem Vogel und dem Dichter-Ich noch auf sarkastische Weise.

Vogel- Urtheil.
Auch das Schlussgedicht des kleinen Zyklus nimmt - was ja bereits der Titel
erkennen lässt - das Vogel-Motiv wieder auf und verbindet es, wie schon das
 
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