Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
90 Zur Genealogie der Moral

oder Vorstellung nur existiert, indem sie ein Glied eines Bewusstseinszusam-
menhangs ist, weshalb das Bewusstsein nie als blosse Summe oder blosses
Produkt aufgefasst werden kann" (ebd., 60 f., N.s Unterstreichungen, letzter
Satz von ihm mit zweifachem Randstrich markiert). Unten auf der Seite hat N.
dazu eine vom Buchbinder teilweise abgeschnittene Marginalie hinterlassen:
„ein Herr werdender Willens=Prozess, der [...] Prozesse einverleibt" (ebd., 61).
Englische Psychologen operieren nach Höffding besonders gern mit der Vor-
stellung assoziativer Vorstellungsverknüpfungen: „Die Theorie von der un-
auflöslichen Assoziation ist die wichtigste Waffe der neuern englischen
Schule wider die Appellation an apriorische und ursprüngliche Bewusstseins-
formen und Ideen." (Ebd., 189, N.s Unterstreichung) „In der englischen Psy-
chologie ist eine Zeit lang die Tendenz vorherrschend gewesen, das Berüh-
rungsgesetz zu Grunde zu legen und alle Verbindung innerhalb des Bewusst-
seins durch angewohnte Verbindung in Zeit und Raum zu erklären. So schon
Thomas Hobbes, dem Begründer der englischen Psychologie (Human natu-
re. 1640), später z. B. bei James Mill. Dieses ist das Prinzip der extremen
,Assoziation-/196/psychology'. Dieselbe fasst das Bewusstsein als eine Reihe
oder ein Bündel von Empfindungen und Vorstellungen auf, und kann deshalb
konsequent keine andern Verbindungen annehmen als solche, welche auf äus-
serm Zusammentreffen beruhen." (Ebd., 195 f.)
257, 12 partie honteuse] Der französische Ausdruck für den „schamhaften Teil"
ist in der zeitgenössischen gehobenen Umgangssprache geläufig und bedeutet
so viel wie „Schandfleck", im Plural „Schamteile" (Meyer 1885-1892, 12, 748).
Bei N. kommt er in NL 1876/77, KSA 8, 23[4], 404, 15 sowie in GD Streifzüge
eines Unzeitgemässen 32 vor, vgl. NK KSA 6, 131, 18. Martin 2016, 191 weist
darauf hin, dass diese Passage in GM I 1 überraschen müsse, da es doch üblich
sei, die „Suche nach der peinlichen oder schändlichen Herkunft" gerade für
ein Wesensmerkmal von N.s eigenem genealogischem Vorgehen, wie man es
gemeinhin voraussetzt, zu halten.
257, 16 vis inertiae] Die „vis inertiae", die Kraft der Trägheit oder das Behar-
rungsvermögen, ist ein Kernbegriff der neuzeitlichen Astronomie und Physik
(beispielsweise bei Johannes Kepler und Isaac Newton), der N. etwa bei Scho-
penhauer begegnet sein konnte (Schopenhauer 1873-1874, 3, 340). In Johann
Julius Baumanns Handbuch der Moral hat N. den Satz „Fichte rief die vis iner-
tiae herbei als auch im Sittlichen waltend u. s. w." am Rand mit „NB" markiert
(Baumann 1879, 4, N.s Unterstreichungen; vgl. ebd., 148 f.). Ein Schlüsselbe-
griff ist die vis inertiae schließlich in Julius Bahnsens Der Widerspruch im Wis-
sen und Wesen der Welt, von dem sich allerdings in N.s Bibliothek nur der
zweite Band erhalten hat (die einschlägigen Stellen: Bahnsen 1882, 2, 23 f., 67,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften