Stellenkommentar GM I 7, KSA 5, S. 266 131
sind ja die beiden Grundformen der bisherigen Überlegenheit des Menschen über
sonstiges Gethier!...] Das Prädikat der Gefährlichkeit ist nicht frei von Ambiva-
lenz, denn es ist zweistellig - etwas wird für jemanden gefährlich. Wenn unter
dem Regiment der „Priester" „Alles gefährlicher" (Komparativ - also im Ver-
gleich wozu?) werden kann, gilt dann diese Gefahr auch für diese „Priester"
selbst - siehe 265, 11 -, weil sie mit ihren asketischen Praktiken ihr eigenes
Leben gefährden, oder doch nur für alle anderen, die vom priesterlichen Welt-
vernichtungswillen angesteckt werden? (Vgl. NK ÜK GM I 6.) Was bei den Pries-
tern jedenfalls aufzutreten pflegt, ist eine Richtungsänderung der Triebenergi-
en nach innen - sie beschäftigen sich vorzüglich mit sich selbst -, so dass die
Schlussfolgerung naheliegt, erst so habe der an sich oberflächliche Mensch ein
Innenleben bekommen. Tiefe und Böse-Sein sind die beiden Epitheta dieses
(für wen? den Moralgenealogen?) „interessanten Thieres", die in GM I 8,
KSA 5, 268, 26 f. historisch konkret am unterdrückten und moralumwerteri-
schen Judentum festgemacht werden. Nach GM I 11, KSA 5, 274 (vgl. GM I 16,
KSA 5, 285) ist das Begriffspaar gut/böse gerade dasjenige, mit dem die skla-
venmoralische Umwertung das alte, vornehme Begriffspaar gut/schlecht inver-
tiert. In GM I 6 und GM I 8 wird „böse" hingegen als scheinbar objektives
Attribut verwendet - im Sinne von Bosheit, von Verschlagenheit? Schacht
1994a, 435 f. interpretiert 266, 5-15 als Auftakt zu einer im Folgenden von GM I
erzählten Geschichte, wie es zu dieser Vertiefung und ,Verbösung' des Men-
schen hat kommen können, die - stellt man GM I 8 in Rechnung, historisch
verhältnismäßig rezent zu sein scheinen - nämlich eine Entwicklung der letz-
ten zweieinhalb Jahrtausende darstellen. Bosheit und Tiefe verleihen diesem
Menschen aber ganz offensichtlich einen evolutionären Vorteil, „Überlegen-
heit" (266, 14 f.), so dass die Strategie der Priester trotz ihres Vernichtungswil-
lens langfristig einen (positiven?) Lebensverlängerungs-, aber auch Lebensin-
tensivierungseffekt zeitigen könnte. Kiesel 2015 will die in GM I 6 vorgetragene
These von der Vertiefung der menschlichen Seele anhand von Homer, Platon
und Augustinus ideengeschichtlich erhärten.
Der Unterscheidung von „gut" und „böse" ist N. im stoischen Kontext wie-
derbegegnet, nämlich in Simplikios' Epiktet-Kommentar (Simplikios 1867, 152-
160, viele Lesespuren N.s). Überhaupt findet N. in Simplikios/Epiktet gemäß
seinem Brief an Overbeck vom 9. 01. 1887 (KSB 8/KGB III 5, Nr. 790, S. 9) die
ganze christliche Wertungsweise vorweggenommen (zu N.s Simplikios-Rezepti-
on vgl. Allison 2001, 185 f.).
7.
Der Abschnitt, der auf eine angeblich vom Judentum in die Wege geleitete und
vom Christentum realisierte sklavenmoralische Umwertung hinausläuft, die bis
sind ja die beiden Grundformen der bisherigen Überlegenheit des Menschen über
sonstiges Gethier!...] Das Prädikat der Gefährlichkeit ist nicht frei von Ambiva-
lenz, denn es ist zweistellig - etwas wird für jemanden gefährlich. Wenn unter
dem Regiment der „Priester" „Alles gefährlicher" (Komparativ - also im Ver-
gleich wozu?) werden kann, gilt dann diese Gefahr auch für diese „Priester"
selbst - siehe 265, 11 -, weil sie mit ihren asketischen Praktiken ihr eigenes
Leben gefährden, oder doch nur für alle anderen, die vom priesterlichen Welt-
vernichtungswillen angesteckt werden? (Vgl. NK ÜK GM I 6.) Was bei den Pries-
tern jedenfalls aufzutreten pflegt, ist eine Richtungsänderung der Triebenergi-
en nach innen - sie beschäftigen sich vorzüglich mit sich selbst -, so dass die
Schlussfolgerung naheliegt, erst so habe der an sich oberflächliche Mensch ein
Innenleben bekommen. Tiefe und Böse-Sein sind die beiden Epitheta dieses
(für wen? den Moralgenealogen?) „interessanten Thieres", die in GM I 8,
KSA 5, 268, 26 f. historisch konkret am unterdrückten und moralumwerteri-
schen Judentum festgemacht werden. Nach GM I 11, KSA 5, 274 (vgl. GM I 16,
KSA 5, 285) ist das Begriffspaar gut/böse gerade dasjenige, mit dem die skla-
venmoralische Umwertung das alte, vornehme Begriffspaar gut/schlecht inver-
tiert. In GM I 6 und GM I 8 wird „böse" hingegen als scheinbar objektives
Attribut verwendet - im Sinne von Bosheit, von Verschlagenheit? Schacht
1994a, 435 f. interpretiert 266, 5-15 als Auftakt zu einer im Folgenden von GM I
erzählten Geschichte, wie es zu dieser Vertiefung und ,Verbösung' des Men-
schen hat kommen können, die - stellt man GM I 8 in Rechnung, historisch
verhältnismäßig rezent zu sein scheinen - nämlich eine Entwicklung der letz-
ten zweieinhalb Jahrtausende darstellen. Bosheit und Tiefe verleihen diesem
Menschen aber ganz offensichtlich einen evolutionären Vorteil, „Überlegen-
heit" (266, 14 f.), so dass die Strategie der Priester trotz ihres Vernichtungswil-
lens langfristig einen (positiven?) Lebensverlängerungs-, aber auch Lebensin-
tensivierungseffekt zeitigen könnte. Kiesel 2015 will die in GM I 6 vorgetragene
These von der Vertiefung der menschlichen Seele anhand von Homer, Platon
und Augustinus ideengeschichtlich erhärten.
Der Unterscheidung von „gut" und „böse" ist N. im stoischen Kontext wie-
derbegegnet, nämlich in Simplikios' Epiktet-Kommentar (Simplikios 1867, 152-
160, viele Lesespuren N.s). Überhaupt findet N. in Simplikios/Epiktet gemäß
seinem Brief an Overbeck vom 9. 01. 1887 (KSB 8/KGB III 5, Nr. 790, S. 9) die
ganze christliche Wertungsweise vorweggenommen (zu N.s Simplikios-Rezepti-
on vgl. Allison 2001, 185 f.).
7.
Der Abschnitt, der auf eine angeblich vom Judentum in die Wege geleitete und
vom Christentum realisierte sklavenmoralische Umwertung hinausläuft, die bis