138 Zur Genealogie der Moral
neueren Religionsgeschichte bietet Guyau 1887, 166 reiches Anschauungsmate-
rial für N.s Priesterhass-These: „Derriere Dieu se rangent, ä tort ou ä raison,
comme derriere leur defenseur naturel, les partisans des vieux regimes, des
privileges, des haines hereditaires: il semble que, dans les coeurs devots, aux
elans d'amour mystique pour Dieu correspondent, aujourd'hui comme autrefo-
is, l'anatheme et la malediction ä l'egard des hommes." (N.s Unterstreichun-
gen. „Hinter Gott stellen sich, zu Recht oder zu Unrecht, wie hinter ihren natür-
lichen Verteidiger, die Anhänger alter Regime auf, der Vorrechte, des vererbten
Hasses: Es scheint, dass in frommen Herzen die Impulse der mystischen Liebe
zu Gott, heute wie in der Vergangenheit, dem Anathema und der Verfluchung
gegenüber den Menschen entsprechen.") Das wiederum hängt mit der gehei-
men Motivation des Asketen zusammen, nämlich sich selbst zu hassen
(„L'ascete se hait lui-meme", ebd., 171. „Der Asket hasst sich selbst"): Der
Selbsthass gründe in der Unfähigkeit des Willens, die Sinne zu lenken („La
haine de soi vient d'une impuissance de la volonte a diriger les sens". Ebd., 171.
Von N. mit Ausrufezeichen am Rand markiert). Von „Priestern" in irgendeinem
technischen Sinn spricht Guyau bei alledem nicht; sein Interesse ist es auch
keineswegs, Hass zur Haupttriebfeder von Religion oder ihrer Repräsentanten
zu erklären. Um solche Generalisierung ist es allein N. zu tun.
267, 5-7 Die menschliche Geschichte wäre eine gar zu dumme Sache ohne den
Geist, der von den Ohnmächtigen her in sie gekommen ist.] Vgl. NK KSA 6, 121,
If. In AC 5 wird hingegen der Starke gerade durch seinen Geist charakterisiert,
vgl. NK KSA 6, 171, 27-30.
267, 8-15 Alles, was auf Erden gegen „die Vornehmen", „die Gewaltigen", „die
Herren", „die Machthaber" gethan worden ist, ist nicht der Rede werth im Ver-
gleich mit dem, was die Juden gegen sie gethan haben: die Juden, jenes pries-
terliche Volk, das sich an seinen Feinden und Überwältigern zuletzt nur durch
eine radikale Umwerthung von deren Werthen, also durch einen Akt der geis-
tigsten Rache Genugthuung zu schaffen wusste} Das Motiv kehrt in potenzie-
render Erweiterung mit den Juden als dem „priesterliche[n] Volk des Ressenti-
ments par excellence" (286, 30) in GM I 16 wieder. Passagen wie diese haben
N. den Vorwurf des Antisemitismus eingetragen, der freilich zu übersehen
pflegt, dass N. nicht über das moderne Judentum spricht, sondern über das
antike, das erst deshalb eine weltgeschichtlich fatale Rolle gespielt hat, weil
es das Christentum und damit die universalisierte Umwertung der vornehmen
Werte hervorgebracht hat. N.s antisemitisch klingende Überlegungen sind anti-
christlich motiviert und liegen fernab vom damaligen politisch-rassistischen
Antisemitismus, wie ihn etwa der von N. verachtete Schwager Bernhard Förster
vertreten hat. Vgl. auch Holub 2016, 177, der N. im Hinblick auf GM I 7 attestiert,
neueren Religionsgeschichte bietet Guyau 1887, 166 reiches Anschauungsmate-
rial für N.s Priesterhass-These: „Derriere Dieu se rangent, ä tort ou ä raison,
comme derriere leur defenseur naturel, les partisans des vieux regimes, des
privileges, des haines hereditaires: il semble que, dans les coeurs devots, aux
elans d'amour mystique pour Dieu correspondent, aujourd'hui comme autrefo-
is, l'anatheme et la malediction ä l'egard des hommes." (N.s Unterstreichun-
gen. „Hinter Gott stellen sich, zu Recht oder zu Unrecht, wie hinter ihren natür-
lichen Verteidiger, die Anhänger alter Regime auf, der Vorrechte, des vererbten
Hasses: Es scheint, dass in frommen Herzen die Impulse der mystischen Liebe
zu Gott, heute wie in der Vergangenheit, dem Anathema und der Verfluchung
gegenüber den Menschen entsprechen.") Das wiederum hängt mit der gehei-
men Motivation des Asketen zusammen, nämlich sich selbst zu hassen
(„L'ascete se hait lui-meme", ebd., 171. „Der Asket hasst sich selbst"): Der
Selbsthass gründe in der Unfähigkeit des Willens, die Sinne zu lenken („La
haine de soi vient d'une impuissance de la volonte a diriger les sens". Ebd., 171.
Von N. mit Ausrufezeichen am Rand markiert). Von „Priestern" in irgendeinem
technischen Sinn spricht Guyau bei alledem nicht; sein Interesse ist es auch
keineswegs, Hass zur Haupttriebfeder von Religion oder ihrer Repräsentanten
zu erklären. Um solche Generalisierung ist es allein N. zu tun.
267, 5-7 Die menschliche Geschichte wäre eine gar zu dumme Sache ohne den
Geist, der von den Ohnmächtigen her in sie gekommen ist.] Vgl. NK KSA 6, 121,
If. In AC 5 wird hingegen der Starke gerade durch seinen Geist charakterisiert,
vgl. NK KSA 6, 171, 27-30.
267, 8-15 Alles, was auf Erden gegen „die Vornehmen", „die Gewaltigen", „die
Herren", „die Machthaber" gethan worden ist, ist nicht der Rede werth im Ver-
gleich mit dem, was die Juden gegen sie gethan haben: die Juden, jenes pries-
terliche Volk, das sich an seinen Feinden und Überwältigern zuletzt nur durch
eine radikale Umwerthung von deren Werthen, also durch einen Akt der geis-
tigsten Rache Genugthuung zu schaffen wusste} Das Motiv kehrt in potenzie-
render Erweiterung mit den Juden als dem „priesterliche[n] Volk des Ressenti-
ments par excellence" (286, 30) in GM I 16 wieder. Passagen wie diese haben
N. den Vorwurf des Antisemitismus eingetragen, der freilich zu übersehen
pflegt, dass N. nicht über das moderne Judentum spricht, sondern über das
antike, das erst deshalb eine weltgeschichtlich fatale Rolle gespielt hat, weil
es das Christentum und damit die universalisierte Umwertung der vornehmen
Werte hervorgebracht hat. N.s antisemitisch klingende Überlegungen sind anti-
christlich motiviert und liegen fernab vom damaligen politisch-rassistischen
Antisemitismus, wie ihn etwa der von N. verachtete Schwager Bernhard Förster
vertreten hat. Vgl. auch Holub 2016, 177, der N. im Hinblick auf GM I 7 attestiert,