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144 Zur Genealogie der Moral

KSA 5, NK 181, 15 u. NK KSA 5, 200, 8-11) - keineswegs exklusiv für seine
eigenen Anstrengungen in Anspruch nimmt (vgl. z. B. NK KSA 5, 140, 11-13),
sondern sie allen zu attestieren bereit ist, die statt auf kurzfristige machtpoliti-
sche Ziele auf langfristige Änderungen im menschlichen Moralhaushalt abzie-
len. Im Falle des sklavenmoralischen Judentums ist es angeblich, wie das Geni-
tivattribut deutlich macht, eine sehr spezifische, eben von Rachedurst beseelte,
große Politik. Vgl. Knoll 2018 zum Zusammenhang von N.s Haltung gegenüber
dem Judentum und der Idee einer „großen Politik".
269, 9 „alle Welt"] Die Anführungszeichen dieser sonst bei N. sehr gängigen
Wendung legen eine konkrete Anspielung nahe, nämlich auf den Gebrauch in Lu-
thers Bibelübersetzung, z. B. von Markus 16, 15: „Und [Jesus] er sprach zu ihnen:
Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur." (Die Bibel:
Neues Testament 1818, 65) Gemeint ist in GMI 8 sowie im Missionsbefehl die heid-
nische Welt im Gegensatz zum Judentum, eben „alle Gegner Israel's" (269, 9).
269, 13-18 Etwas, das an verlockender, berauschender, betäubender, verder-
bender Kraft jenem Symbol des „heiligen Kreuzes" gleichkäme, jener schauerli-
chen Paradoxie eines „Gottes am Kreuze", jenem Mysterium einer unausdenkba-
ren letzten äussersten Grausamkeit und Selbstkreuzigung Gottes zum Heile
des Menschen?...] Die in Anführungszeichen gesetzte Formel vom „Gott am
Kreuze" ist weder biblisch - auch wenn Paulus vom „Aergerniß des Kreuzes"
spricht (Galater 5, 11. Die Bibel: Neues Testament 1818, 228) -, noch in der
theologischen Literatur (mit Ausnahme mancher Kirchenlieder) geläufig. Bei
N. wird sie von 1884 an mehrfach in den Werken (vgl. z. B. NK KSA 6, 232, 15-
20) und im Nachlass benutzt. Er scheint sie aus Wagners „Regenerations-
schrift" Religion und Kunst (Wagner 1907, 10, 215 f.) sowie aus Hans von Wolzo-
gens darauf aufbauendem Traktat Die Religion des Mitleidens und die Ungleich-
heit der menschlichen Racen (Wolzogen 1883b, 115 u. 119) entliehen zu haben.
Wolzogen stellte die bei Wagner nicht zentrale Wendung vom „Gott am Kreuz"
ins Zentrum seiner eigenen kunstchristlichen Missionierungsversuche, um sie
damit als Mittel zur emotionalen Indoktrination in ähnlicher Weise zu benut-
zen, wie N. es in der Antike beobachtet zu haben glaubte. Wolzogen affirmierte
die Göttlichkeit des Leidens, während diese Vergöttlichung in GM I 8 als Aus-
druck der Perversion erscheint - nämlich als Perversion jenes vom Christentum
in die Welt gebrachten Kultes der Grausamkeit, die sich wesentlich in Selbst-
peinigung äußert. Vgl. ausführlich mit genauen Quellennachweisen NK KSA 5,
67, 3-7; zum Kontext antiker Mysterienreligiosität ferner Santini 2011, 94.
269, 18 f. sub hoc signo] Lateinisch: „unter diesem Zeichen". Gemeint ist das
Zeichen des Kreuzes. Nach Laktanz: De mortibus persecutorum 44, 5 (vgl. Euse-
bius: Vita Constantini I 28: „ev tovtw viku") soll Kaiser Konstantin I. im Jahr
 
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