162 Zur Genealogie der Moral
Kriegsvolke, KSA 4, 58 (vgl. Schmidt 2016, 128). Eine politische Dimension will
Bergoffen 2008, 499 aus der Entgegensetzung von christlicher und vornehmer
Feindesliebe herausdestillieren: erstere mache sich etwa in der Politik des
Deutschen Reiches bemerkbar, die den Feind diabolisiere. Einen solchen Bezug
stellt GM I 10 aber gerade nicht her. Zur Ehrfurcht vgl. auch NK 277, 9-13 und
Höffding 1887, 330-332.
274, I f. er hat „den bösen Feind" concipirt] Das spielt an auf das von N. wieder-
holt bemühte (vgl. z. B. NK KSA 6, 121, 5 f., NK KSA 6, 140, 16 f.) berühmte
Kirchenlied Eine feste Burg ist unser Gott (1529) von Martin Luther, dessen erste
Strophe lautet: „Ein feste Burg ist unser Gott, / ein gute Wehr und Waffen. /
Er hilft uns frei aus aller Not, / die uns jetzt hat betroffen. / Der alt böse Feind /
mit Ernst er's jetzt meint, / groß Macht und viel List / sein grausam Rüstung
ist, / auf Erd ist nicht seinsgleichen." Biblisch ist der Ausdruck „der böse
Feind" nicht, schließt aber an Stellen an wie etwa das Gleichnis vom Unkraut
und dem Weizen, wo der Hausvater den Knechten auf die Frage, woher das
Unkraut komme, bescheidet: „Das hat der Feind gethan." (Matthäus 13, 28. Die
Bibel: Neues Testament 1818, 18) Und bei der Auslegung gibt Jesus die Erklä-
rung: „Der Feind, der sie säet, ist der Teufel" (Matthäus 13, 39. Die Bibel: Neues
Testament 1818, 19).
11.
GM I 11 exponiert die in den vorangegangenen Kapiteln sich bereits abzeich-
nende Unterscheidung zweier Moralen, die sich ähnlicher Terminologien be-
dienen, aber dennoch gänzlich entgegengesetzt werten: Die als ursprünglich
angesetzte Moral der Vornehmen gewinne den Begriff „gut" aus der bejahen-
den, triumphalen Selbstwahrnehmung, während als „schlecht" unvornehmes
Leben und Handeln gelte. Parasitär dazu verhalte sich die „Sklaven-Moral"
(274, 13), die als Negativbegriff statt „schlecht" „böse" verwende, damit aber
gerade diejenigen Vornehmen im Visier habe, die sich selbst als „gut" bezeich-
nen, jedoch von den Unterdrückten und Gebeutelten als Quelle des eigenen
Übelbefindens begriffen werden. Die „Sklaven-Moral" als eine „Moral des Res-
sentiments" (274, 17) kehre also die von der Herren-Moral vorgegebene Begriff-
lichkeit gerade um, so dass jetzt auch die bislang für schlecht Gehaltenen die
neuen Guten sind. Das Kapitel erörtert dann aber vor allem ausführlich, dass
die negativen Empfindungen, die der „Sklaven-Moral" zugrunde liegen, real
fundiert seien, nämlich in der Erfahrung zahlreicher Menschen, Opfer von
Übergriffen der Vornehmen zu sein, die sich ihnen gegenüber „nicht viel besser
als losgelassne Raubthiere" (274, 30 f.) verhielten. Eine lange Passage, in deren
Kriegsvolke, KSA 4, 58 (vgl. Schmidt 2016, 128). Eine politische Dimension will
Bergoffen 2008, 499 aus der Entgegensetzung von christlicher und vornehmer
Feindesliebe herausdestillieren: erstere mache sich etwa in der Politik des
Deutschen Reiches bemerkbar, die den Feind diabolisiere. Einen solchen Bezug
stellt GM I 10 aber gerade nicht her. Zur Ehrfurcht vgl. auch NK 277, 9-13 und
Höffding 1887, 330-332.
274, I f. er hat „den bösen Feind" concipirt] Das spielt an auf das von N. wieder-
holt bemühte (vgl. z. B. NK KSA 6, 121, 5 f., NK KSA 6, 140, 16 f.) berühmte
Kirchenlied Eine feste Burg ist unser Gott (1529) von Martin Luther, dessen erste
Strophe lautet: „Ein feste Burg ist unser Gott, / ein gute Wehr und Waffen. /
Er hilft uns frei aus aller Not, / die uns jetzt hat betroffen. / Der alt böse Feind /
mit Ernst er's jetzt meint, / groß Macht und viel List / sein grausam Rüstung
ist, / auf Erd ist nicht seinsgleichen." Biblisch ist der Ausdruck „der böse
Feind" nicht, schließt aber an Stellen an wie etwa das Gleichnis vom Unkraut
und dem Weizen, wo der Hausvater den Knechten auf die Frage, woher das
Unkraut komme, bescheidet: „Das hat der Feind gethan." (Matthäus 13, 28. Die
Bibel: Neues Testament 1818, 18) Und bei der Auslegung gibt Jesus die Erklä-
rung: „Der Feind, der sie säet, ist der Teufel" (Matthäus 13, 39. Die Bibel: Neues
Testament 1818, 19).
11.
GM I 11 exponiert die in den vorangegangenen Kapiteln sich bereits abzeich-
nende Unterscheidung zweier Moralen, die sich ähnlicher Terminologien be-
dienen, aber dennoch gänzlich entgegengesetzt werten: Die als ursprünglich
angesetzte Moral der Vornehmen gewinne den Begriff „gut" aus der bejahen-
den, triumphalen Selbstwahrnehmung, während als „schlecht" unvornehmes
Leben und Handeln gelte. Parasitär dazu verhalte sich die „Sklaven-Moral"
(274, 13), die als Negativbegriff statt „schlecht" „böse" verwende, damit aber
gerade diejenigen Vornehmen im Visier habe, die sich selbst als „gut" bezeich-
nen, jedoch von den Unterdrückten und Gebeutelten als Quelle des eigenen
Übelbefindens begriffen werden. Die „Sklaven-Moral" als eine „Moral des Res-
sentiments" (274, 17) kehre also die von der Herren-Moral vorgegebene Begriff-
lichkeit gerade um, so dass jetzt auch die bislang für schlecht Gehaltenen die
neuen Guten sind. Das Kapitel erörtert dann aber vor allem ausführlich, dass
die negativen Empfindungen, die der „Sklaven-Moral" zugrunde liegen, real
fundiert seien, nämlich in der Erfahrung zahlreicher Menschen, Opfer von
Übergriffen der Vornehmen zu sein, die sich ihnen gegenüber „nicht viel besser
als losgelassne Raubthiere" (274, 30 f.) verhielten. Eine lange Passage, in deren