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230 Zur Genealogie der Moral

haben, wobei dadurch das alte, bei N. sonst gerne karikierte Vorurteil der Phi-
losophen über die Hintertür wieder sein Recht einfordert, dass nämlich die
Vernunft den Körper nicht nur regieren solle, sondern dies auch tue, also tat-
sächlich eine Herrschaft der wenigsten Kräfte des Organismus über die meisten
herrsche. Wotling stellt in seiner Anmerkung zu 291, 25 f. fest (Nietzsche 2000,
120, Fn. 2), dass es gerade für N.s Sprachgebrauch charakteristisch sei, die
Metaphernfelder, hier Politik und Biologie, miteinander zu vermengen. Vom
sozialen Organismus zu sprechen, ist allerdings lange eingespielte Sprechwei-
se in der politischen Philosophie. Ein N. wohlbekannter Autor wie Hellwald
sieht den „sozialen Organismus" sich in strenger Parallelität zum „Naturorga-
nismus" entwickeln (Hellwald 1883-1884, 1, 20), ohne aber zu behaupten, der
eine oder der andere müsse zwangsläufig „oligarchisch" organisiert sein; statt-
dessen hält er ,,[d]emokratische, aristokratische, oligarchische, monarchische,
republikanische, soziale Zustände und Staatenbildungen" (ebd.) für Anpas-
sungsleistungen an spezifische Völker und spezifische Verhältnisse. Das küm-
mert das sprechende „Ich" in GM II 1 nicht: Vergesslichkeit ist ihm zufolge der
Garant dafür, dass ein Lebewesen sich selbst überhaupt organisieren, dass es
überhaupt eine Gegenwart haben kann. Vgl. zu 291, 24-292, 4 auch Heit 2013,
176.
292, 4-7 Der Mensch, in dem dieser Hemmungsapparat beschädigt wird und
aussetzt, ist einem Dyspeptiker zu vergleichen (und nicht nur zu vergleichen —)
er wird mit Nichts „fertig"...] Bereits in UB II HL 4 führt die Überfüllung des
Gedächtnisses zu Verdauungsproblemen, die es „ordentlich im Leibe rumpeln"
(KSA 1, 272, 26) lassen, und auch die Selbstcharakterisierung N.s in Ecce homo
stellt den metaphorischen Zusammenhang von Verdauungsstörung und Nicht-
Vergessen-Können her, siehe NK KSA 6, 280, 5 f.
292, 11 ausgehängt] Vgl. NK 322, 2-19.
292, 18 ein eigentliches Gedächtniss des Willens] Die von N. nur hier
gebrauchte Fügung „Gedächtnis des Willens" hat Johann Friedrich Herbart im
pädagogischen Kontext geprägt (vgl. Stegmaier 1994, 135) und dann in seine
Psychologie übernommen: „Mit gutem Bedacht habe ich in der Pädagogik vom
Gedächtniss des Willens geredet; einem für die Erziehung höchst wichtigen
Gegenstände, denn darauf beruhet die Möglichkeit des Charakters und des
consequenten Handelns. Ohne Gedächtniss des Willens bleiben angefangene
Arbeiten liegen, und aus entworfenen Plänen entweicht das Feuer, das sie zur
Reife bringen sollte. Am meisten Gedächtniss des Willens zeigt die Rache, und
kann dadurch auch den, welcher an der Existenz desselben zweifeln möchte,
zur Ueberzeugung bringen." (Herbart 1824, 29) Brusotti 1992b, 90, Fn. 14 hat
nachgewiesen, dass N.s unmittelbare Quelle aber wohl Baumanns Handbuch
 
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