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240 Zur Genealogie der Moral

egoistischen Klugheitsrücksichten, welche der Willkür Schranken
setzen, zusammen! Das charakterisirt!!" N. bezieht sich auf folgende Stelle: „Ist
der Pluralismus das letzte Wort der Metaphysik, so ist die absolute Souveräni-
tät des (gleichviel ob metaphysisch einfachen, oder atomistisch zusammenge-
setzten) Individuums das letzte Wort der praktischen Philosophie, und nur
egoistische Klugheitsrücksichten können es sein, welche der Willkür dieser
Souveränität eine Beschränkung auferlegen" (Hartmann 1879, 776, Unterstrei-
chungen und doppelte Anstreichungen von N.s Hand, der am Rand notiert
,,[da]s charakterisirt". Zur Interpretation siehe Brusotti 2017, der ebd., 239 auch
Hartmanns Absetzung von Max Stirner herausstellt). Hartmann hält dagegen,
dass in Wahrheit die Einheit von allem der Metaphysik letzter Schluss - es sei
„das Eine allein wahrhaft seiend" (Hartmann 1879, 776) -, worauf denn auch
die echte Moral zu gründen habe. Der Glaube an die Souveränität des Individu-
ums beruht nach Hartmann also auf einem metaphysischen Irrtum, wobei
Hartmann sich bemüht, diesem „Standpunkt", den er „im russischen Nihilis-
mus" und bei Max Stirner findet, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: „In der
That ruht dieser ganze Standpunkt auf der Souveränität des Ich, oder,
theoretisch ausgedrückt, auf dem Glauben an die Absolutheit des Ich. Diese
Absolutheit braucht hier nicht die Ewigkeit einzuschliessen [...]; das Geschöpf
braucht sich dann eben nur in prometheischem Trotz gegen seinen Schöpfer
zu kehren" (Hartmann 1879, 768). Gegen diesen revoltierenden Gestus komme
man nicht mit den „bündigsten Beweise[n] für die inhaltliche Vernünftigkeit
und Zweckmässigkeit des Daseienden und des Weltprocesses" an (ebd., 769);
das „Ich" lehne „sich nur darum gegen die Vernunft auf, weil dieselbe ihm
einen partiellen Verzicht auf seine Souveränität zumuthet, eine Unterord-
nungseiner Willkür unter Zwecke, die nicht seine Zwecke sind". Hartmann
zögert freilich nicht, die „Auflehnung des Eigenwillens gegen die Zumuthung
des formellen Verzichtes auf seine Souveränität" als „das radical Böse
selbst, jene tiefinnerste Wurzel des Bösen" (ebd.) zu identifizieren. Der
Glaube des Individuums an seine Souveränität ist für Hartmann also eine mo-
ralische Pathologie - eine Diagnose, für die N.s „Wir" nur Spott übrig hat, muss
sie ihm doch als billige, nachgeschobene philosophische Legitimierung eines
durch die Domestikation des Menschen herbeigeführten Moralzustandes er-
schienen sein: Hartmann spricht aus der Sicht von GM die sklavenmoralischen
Vorurteile heilig.
Im Notat NL 1883/84, KSA 10, 24[25], 659, 16-29 (das von N.s späteren Kom-
pilatoren zu WzM2 130 umfunktioniert werden sollte) wird ein Panorama der
Jetztzeit gezeichnet, in dem die souveränen Individuen eine wichtige Rolle
spielen - wobei auch hier wie in GM II 2 offen bleibt, ob sie bereits aufgetreten
sind oder erst auftreten werden: „Äußerlich: Zeitalter ungeheurer Kriege,
 
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