Stellenkommentar GM II 2, KSA 5, S. 293 241
Umstürze, Explosionen / Innerlich: immer größere Schwäche der Menschen.
Die Ereignisse als Excitantien. Der Pariser als das europäische Ex-
trem. / Consequenz. / 1) Die Barbaren, / zuerst natürlich unter der Form
der bisherigen Cultur (z. B. Dühring) / 2) Die souveränen Individuen
(wo barbarische Kraft-Mengen und die Fessellosigkeit in Hinsicht auf alles
Dagewesene sich kreuzen) / Zeitalter der größten Dummheit, Brutalität und
Erbärmlichkeit der Massen und der höchsten Individuen." Das Ver-
sprechen-Dürfen als exklusives Kriterium für die „souveränen Individuen" in
GM II 2 klingt hier nicht an; hier scheint es sich um Kraftmeier zu handeln, die
den Schleier der Kultur, die Bindung an das sozial und legal Gesetzte um-
standslos abstreifen.
In KGW IX 3, N VII 3, 78, 14-40 (NL 1886, KSA 12, 5[91], 223, 22-224, 7)
findet sich ein Auszug aus einem Artikel von Hippolyte Taine aus der Revue
des deux mondes vom 15. Februar 1887, der von den „trois esprits souverains
de la renaissance italienne" („drei souveränen Geistern der italienischen Re-
naissance") spricht, nämlich Dante, Michelangelo und Napoleon (sic, vgl. dazu
Campioni 2009, 197). KGW IX 6, W II 1, 80, 3-16 charakterisiert „die starken
Einzelnen" wiederum auf Französisch in Klammern als „les souverains", denen
die „Todfeindschaft der Heerde gegen die / Rangordnung" gelte (vgl. NL 1887,
KSA 12, 9[85], 379, 31-380, 3). Neben Hartmann und französischen Autoren
könnte aber auch der im engeren Sinne rechtshistorische Gebrauch der Wen-
dung „souveränes Individuum" N. nicht unbekannt geblieben sein: Am
14. 09. 1887 berichtete er Meta von Salis: „Neulich, an einem gründlichen Re-
gentage, entwickelte sich ein artiges, sehr principielles Gespräch, bei dem die
Rollen hübsch vertheilt waren: der preußische Landrath, der Mediziner aus
Gießen, der Jurist aus Heidelberg (Geh.Rath Gierke) und ich (comme philoso-
phe)." (KSB 8/KGB III 5, Nr. 908, S. 151, Z. 24-29) Gemeint ist der Rechtshistori-
ker Otto von Gierke, der den Begriff für die römische Gesellschaft in Anschlag
gebracht hatte: Als „eigentlicher Träger des positiven Wirthschaftslebens
[steht] das souveräne Individuum, der Hausherr, der römische pater familias.
Das Individuum, unbeschränkter Herr seiner Privatrechtssphäre, erweitert und
beschränkt diese durch ein ausschließlich von dem freien Einzelwillen ausge-
hendes Obligationenrecht und geht nur ausnahmsweise (wie etwa in den Ge-
sellschaften der römischen Zollpächter) umfassendere Vereinigungen mit an-
deren Indi/776/viduen ein" (Gierke 1869, 775 f.). Worum es in N.s Gespräch mit
Gierke gegangen ist, verrät der Brief leider nicht; auch nicht, ob es vor der
definitiven Abgabe des GM-Manuskriptes beim Verleger stattfand (wovon man
allerdings nicht wird ausgehen dürfen).
Harald Höffding hat in seiner Psychologie in Umrissen auf Grundlage der
Erfahrung postuliert, dass alle Entwicklung auf Individualisierung hinauslaufe:
Umstürze, Explosionen / Innerlich: immer größere Schwäche der Menschen.
Die Ereignisse als Excitantien. Der Pariser als das europäische Ex-
trem. / Consequenz. / 1) Die Barbaren, / zuerst natürlich unter der Form
der bisherigen Cultur (z. B. Dühring) / 2) Die souveränen Individuen
(wo barbarische Kraft-Mengen und die Fessellosigkeit in Hinsicht auf alles
Dagewesene sich kreuzen) / Zeitalter der größten Dummheit, Brutalität und
Erbärmlichkeit der Massen und der höchsten Individuen." Das Ver-
sprechen-Dürfen als exklusives Kriterium für die „souveränen Individuen" in
GM II 2 klingt hier nicht an; hier scheint es sich um Kraftmeier zu handeln, die
den Schleier der Kultur, die Bindung an das sozial und legal Gesetzte um-
standslos abstreifen.
In KGW IX 3, N VII 3, 78, 14-40 (NL 1886, KSA 12, 5[91], 223, 22-224, 7)
findet sich ein Auszug aus einem Artikel von Hippolyte Taine aus der Revue
des deux mondes vom 15. Februar 1887, der von den „trois esprits souverains
de la renaissance italienne" („drei souveränen Geistern der italienischen Re-
naissance") spricht, nämlich Dante, Michelangelo und Napoleon (sic, vgl. dazu
Campioni 2009, 197). KGW IX 6, W II 1, 80, 3-16 charakterisiert „die starken
Einzelnen" wiederum auf Französisch in Klammern als „les souverains", denen
die „Todfeindschaft der Heerde gegen die / Rangordnung" gelte (vgl. NL 1887,
KSA 12, 9[85], 379, 31-380, 3). Neben Hartmann und französischen Autoren
könnte aber auch der im engeren Sinne rechtshistorische Gebrauch der Wen-
dung „souveränes Individuum" N. nicht unbekannt geblieben sein: Am
14. 09. 1887 berichtete er Meta von Salis: „Neulich, an einem gründlichen Re-
gentage, entwickelte sich ein artiges, sehr principielles Gespräch, bei dem die
Rollen hübsch vertheilt waren: der preußische Landrath, der Mediziner aus
Gießen, der Jurist aus Heidelberg (Geh.Rath Gierke) und ich (comme philoso-
phe)." (KSB 8/KGB III 5, Nr. 908, S. 151, Z. 24-29) Gemeint ist der Rechtshistori-
ker Otto von Gierke, der den Begriff für die römische Gesellschaft in Anschlag
gebracht hatte: Als „eigentlicher Träger des positiven Wirthschaftslebens
[steht] das souveräne Individuum, der Hausherr, der römische pater familias.
Das Individuum, unbeschränkter Herr seiner Privatrechtssphäre, erweitert und
beschränkt diese durch ein ausschließlich von dem freien Einzelwillen ausge-
hendes Obligationenrecht und geht nur ausnahmsweise (wie etwa in den Ge-
sellschaften der römischen Zollpächter) umfassendere Vereinigungen mit an-
deren Indi/776/viduen ein" (Gierke 1869, 775 f.). Worum es in N.s Gespräch mit
Gierke gegangen ist, verrät der Brief leider nicht; auch nicht, ob es vor der
definitiven Abgabe des GM-Manuskriptes beim Verleger stattfand (wovon man
allerdings nicht wird ausgehen dürfen).
Harald Höffding hat in seiner Psychologie in Umrissen auf Grundlage der
Erfahrung postuliert, dass alle Entwicklung auf Individualisierung hinauslaufe: