254 Zur Genealogie der Moral
dung eines distanzierenden Demonstrativpronomens - „Diese Deutschen" -,
das die Distanzierung des Sprechers von seiner Herkunftsnation augenfällig
macht. Der Vorstellung, dass die Deutschen ein „Volk von Dichtern und Den-
kern" seien - nicht nur das „Volk der Denker", vgl. NK KSA 6, 103, 23 -, wird der
Weg bereitet vom „Vorbericht an Herrn David Runkel", den Johann Carl August
Musäus seinen Volksmährchen der Deutschen voranstellte: „Was wär das enthu-
siastische Volk unsrer Denker, Dichter, Schweber, Seher ohne die glücklichen
Einflüsse der Phantasie?" ([Musäus] 1782, 1, unpag. Bl. 7 recto). Das Motiv,
wenn auch nicht die später gebräuchliche Zwillingsformel kehrt z. B. bei Jean
Paul und Madame de Stael wieder (vgl. Nietzsche 1998, 141). 1837 widmete
Edward Bulwer-Lytton seinen Roman Ernest Maltravers „TO / THE GREAT GER-
MAN PEOPLE / A NATION OF THINKERS AND OF CRITICS" ([Bulwer-Lytton]
1837, 1, unpag. Bl. 2 recto). Diese Widmungsformel taucht in der Folge - oft
auch mit kritischer Akzentuierung immer wieder in der deutschen Publizistik
auf; noch die 3. Auflage von Meyers Konversations-Lexilcon vermerkt 1874 im
Artikel über Bulwer-Lytton, dass er seinen Roman dem „Volk von Denkern und
Kritikern" zugeeignet habe (Meyer 1874-1884, 3, 991), während die 4. Auflage
desselben Lexikons unter dem Lemma „Deutsche Litteratur (Philosophie)" ver-
kündet: „Wie unter den Völkern des Altertums den Griechen, so gebührt unter
den neuern den Deutschen der Ehrenname eines Volkes von Denkern"' (Meyer
1885-1892, 4, 759). Auch unter national Gesinnten konnte die Wendung wie in
N.s Hand leicht zur satirischen Waffe werden - so bei Wolfgang Menzel, der
schon 1828 konstatiert hatte: „Die Deutschen thun nicht viel, aber sie schreiben
desto mehr. [...] Das sinnige deutsche Volk liebt es zu denken und zu dichten,
und zum Schreiben hat es immer Zeit." (Menzel 1828, 1, 1) 40 Jahre später
agitierte er selbst gegen Victor Hugo und andere Ausländer und ausländisch
gesinnte Inländer wie Goethe („eine dem äußern Feind in die Hände arbeiten-
de, innerlich erschlaffende, auflösende Kraft, unser böser Genius" - Menzel
1868, 258), die die „gelehrte Lüge, wir Deutschen seyen nur ein Volk von Den-
kern", verbreitet hätten (Menzel 1868, 251, 1-268, Kapitelüberschrift).
296, 24-26 man denke an die alten deutschen Strafen, zum Beispiel an das
Steinigen (— schon die Sage lässt den Mühlstein auf das Haupt des Schuldigen
fallen)] Das „Beispiel" stammt, wie die folgenden, die N. sich großteils schon in
NL 1883, KSA 10, 8[5], 326 notiert hat, aus Posts Bausteinen für eine allgemeine
Rechtswissenschaft: „Steinigung wird erwähnt in Abyssinien, Khokand, bei
den Azteken, im mosaischen und moslemischen Rechte, im germanischen und
nordischen Alterthum. / Eine besondere Art der Tödtung durch Steine wird von
Fuertaventura und Lancerota berichtet. Hier legte der Nachrichter den Kopf
des Verurtheilten auf einen flachen Stein am Meere und warf dann mit einem
anderen Steine so stark darauf, dass das Gehirn herausspritzte. Hier bietet sich
dung eines distanzierenden Demonstrativpronomens - „Diese Deutschen" -,
das die Distanzierung des Sprechers von seiner Herkunftsnation augenfällig
macht. Der Vorstellung, dass die Deutschen ein „Volk von Dichtern und Den-
kern" seien - nicht nur das „Volk der Denker", vgl. NK KSA 6, 103, 23 -, wird der
Weg bereitet vom „Vorbericht an Herrn David Runkel", den Johann Carl August
Musäus seinen Volksmährchen der Deutschen voranstellte: „Was wär das enthu-
siastische Volk unsrer Denker, Dichter, Schweber, Seher ohne die glücklichen
Einflüsse der Phantasie?" ([Musäus] 1782, 1, unpag. Bl. 7 recto). Das Motiv,
wenn auch nicht die später gebräuchliche Zwillingsformel kehrt z. B. bei Jean
Paul und Madame de Stael wieder (vgl. Nietzsche 1998, 141). 1837 widmete
Edward Bulwer-Lytton seinen Roman Ernest Maltravers „TO / THE GREAT GER-
MAN PEOPLE / A NATION OF THINKERS AND OF CRITICS" ([Bulwer-Lytton]
1837, 1, unpag. Bl. 2 recto). Diese Widmungsformel taucht in der Folge - oft
auch mit kritischer Akzentuierung immer wieder in der deutschen Publizistik
auf; noch die 3. Auflage von Meyers Konversations-Lexilcon vermerkt 1874 im
Artikel über Bulwer-Lytton, dass er seinen Roman dem „Volk von Denkern und
Kritikern" zugeeignet habe (Meyer 1874-1884, 3, 991), während die 4. Auflage
desselben Lexikons unter dem Lemma „Deutsche Litteratur (Philosophie)" ver-
kündet: „Wie unter den Völkern des Altertums den Griechen, so gebührt unter
den neuern den Deutschen der Ehrenname eines Volkes von Denkern"' (Meyer
1885-1892, 4, 759). Auch unter national Gesinnten konnte die Wendung wie in
N.s Hand leicht zur satirischen Waffe werden - so bei Wolfgang Menzel, der
schon 1828 konstatiert hatte: „Die Deutschen thun nicht viel, aber sie schreiben
desto mehr. [...] Das sinnige deutsche Volk liebt es zu denken und zu dichten,
und zum Schreiben hat es immer Zeit." (Menzel 1828, 1, 1) 40 Jahre später
agitierte er selbst gegen Victor Hugo und andere Ausländer und ausländisch
gesinnte Inländer wie Goethe („eine dem äußern Feind in die Hände arbeiten-
de, innerlich erschlaffende, auflösende Kraft, unser böser Genius" - Menzel
1868, 258), die die „gelehrte Lüge, wir Deutschen seyen nur ein Volk von Den-
kern", verbreitet hätten (Menzel 1868, 251, 1-268, Kapitelüberschrift).
296, 24-26 man denke an die alten deutschen Strafen, zum Beispiel an das
Steinigen (— schon die Sage lässt den Mühlstein auf das Haupt des Schuldigen
fallen)] Das „Beispiel" stammt, wie die folgenden, die N. sich großteils schon in
NL 1883, KSA 10, 8[5], 326 notiert hat, aus Posts Bausteinen für eine allgemeine
Rechtswissenschaft: „Steinigung wird erwähnt in Abyssinien, Khokand, bei
den Azteken, im mosaischen und moslemischen Rechte, im germanischen und
nordischen Alterthum. / Eine besondere Art der Tödtung durch Steine wird von
Fuertaventura und Lancerota berichtet. Hier legte der Nachrichter den Kopf
des Verurtheilten auf einen flachen Stein am Meere und warf dann mit einem
anderen Steine so stark darauf, dass das Gehirn herausspritzte. Hier bietet sich