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Stellenkommentar GM II 4, KSA 5, S. 297 261

deuten sich bei Post 1880-1881, 1, 175 (vgl. NK 320, 3-12) u. 230-232 (Thatcher
1989, 591) an, jedoch dürfte hier vor allem die Lektüre eines anderen Werks
von Post, nämlich Die Grundlagen des Rechts und die Grundzüge seiner Entwi-
ckelungsgeschichte Pate gestanden haben, das N. gemäß einer Rechnung der
Buchhandlung Alfred Lorentz vom 27. 10. 1885 (KGB III 7/2, Nr. 305a, S. 9) am
15. 04. 1885 erhalten hat. Post stellt dort ebenfalls zunächst für die Strafe das
Vergeltungspostulat auf: „Das Grundprinzip, welches für das Verhältniss zwi-
schen Rechtsbruch und Ausgleichsakt bestimmend ist, ist daher das Prinzip
der Talion, der genauen Wiedervergeltung." (Post 1884, 28) Ursprünglich gab
es nach Post keine individuellen „Rechtssubjekte", sondern die Geschlechter-
verbände standen für ihre Angehörigen ein. „Die Urzeit kennt keinen Begriff
des Verschuldens, sondern es handelt sich in ihr lediglich um Ausgleich eines
zerstörten Zustandes des socialen Gleichgewichts zwischen zwei Geschlech-
tern." (Ebd., 158) Erst später wurde die Idee einer „Haftbarkeit des Individuums
verknüpft mit dem Begriffe des individuellen Verschuldens. Es bildet sich da-
mit eine Lehre von der Zurechnungsfähigkeit des Individuums aus. Während
es für die Haftung des Geschlechts vollständig gleichgültig war, ob einer der
Blutsfreunde eine Missethat im Wahnsinn oder in einem sonstigen Zustande
der Bewusstlosigkeit begangen hat, oder ob er mit freiem Willen oder ohne
Selbstbestimmung, getrieben durch eine Naturgewalt oder die Gewalt anderer
Menschen, die bestehende Ordnung durchbrochen hat, so wird jetzt das Indivi-
duum für Handlungen, welche es im Zustande der Bewusstlosigkeit oder mit
Ausschluss freier Willensbestimmung begangen hat, nicht verantwortlich ge-
macht. Es bildet sich nun auch eine Lehre von absichtlichen und fahrlässigen
Rechtsbrüchen aus, welche ebenfalls der Urzeit durchaus fremd ist." (Ebd.,
159, vgl, ebd. 355 f.) In den ursprünglichen Rechtsverhältnissen zwischen den
einzelnen Geschlechtern habe es „keine civilrechtliche Lehre von Absicht,
Fahrlässigkeit, Schuld, Handlungsfähigkeit, freier Willensbestimmung, Irrt-
hum, Furcht u. s. w." (ebd., 351) gegeben. „Der ganze individualpsychologische
Gesichtspunkt, welcher unser heutiges, im Wesentlichen nur Individualrechte
und Individualpflichten kennendes Obligationenrecht beherrscht, ist dem Pri-
mitivrechte fremd." (Ebd.) In einer späteren Rechtsentwicklungsphase wurde
dann die Unterscheidung zwischen Absichtlichkeit und Unabsichtlichkeit ein-
geführt. „Eine besondere Behandlung eines fahrlässigen Rechtsbruchs ist dem
ursprünglichen Rechte ganz fremd. Nur zwischen absichtlicher und nicht ab-
sichtlicher That wird unterschieden. Die nicht absichtliche That umfasst so-
wohl die fahrlässige als die unvermeidliche That, so jedoch, dass letztere nicht
unterschieden werden." (Ebd., 358 f., vgl. auch Post 1880-1881, 1, 230-232) Es
kam die „Anschauung" auf, „dass eine Verschuldung Voraussetzung für die
Annahme eines Rechtsbruchs sei" (Post 1884, 360), die das Rechtsbewusstsein
 
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