410 Zur Genealogie der Moral
einander, die in diesem „Bühnenweihfestspiel" eine theatralische Profanie-
rung des Christentums sehen. „Ich will nicht glauben, dass die Profanations-
Weherufer die wahre Religion in ihrer Macht und Bedeutung unterschätzen,
aber sie überschätzen, meines Erachtens, die Macht und Bedeutung der Reli-
gions-Spielerei im ,Parsifal'." (Hanslick 1884, 336).
342, 25 f. Man erinnere sich, wie begeistert seiner Zeit Wagner in den Fusstapfen
des Philosophen Feuerbach gegangen ist] In seiner Autobiographie Mein Leben,
deren für Freunde angefertigten Privatdruck N. einst in Basel überwacht hatte,
berichtet Wagner anlässlich der Revolutionswirren von 1849, dass ihn „ein ge-
wisser Menzdorff, deutschkatholischer Prediger, ein ernster jüngerer Mann"
„bei einem bedeutenden Gespräche zum ersten Male auf die Lektüre Feuer-
bach's verwiesen" habe (Wagner 1911, 1, 482), und er beschreibt die „innere
Aufregung", „die namentlich in Folge des Bekanntwerdens mit den Haupt-
schriften Ludwig Feuerbach's in mir genährt wurde" (ebd., 507). „Jetzt brachte
mir mein neuer Züricher Freund, der Klavierlehrer Wilhelm Baumgartner, des-
sen Buch über ,Tod und Unsterblichkeit' in das Haus. Der allerseits anerkannte,
sehr anregende, lyrische Styl des Verfassers übte auf mich, als gänzlich Fach-
ungebildeten, einen grossen Reiz aus. [...] Die Unumwundenheit, zu welcher
sich Feuerbach in den reiferen Theilen seines Buches endlich über diese tief
interessirenden Fragen ermuthigt, gefielen mir eben so ihrer tragischen, wie
social-radikalen Tendenz wegen, sehr. Es schien mir rühmlich und lohnend,
die einzige wahre Unsterblichkeit nur der erhabenen That, oder dem geistvol-
len Kunstwerke zugetheilt zu wissen. Etwas schwerer gelang es bereits, mich
für ,das Wesen des Christenthum's' von demselben Verfasser bei dauerndem
Interesse zu erhalten, da ich die Breite und unbehülfliche Ausdehnung der
Darstellung des einfachen Grundgedankens, die Religion vom rein subjektiven
psychologischen Standpunkte aus zu erklären, unter der unwillkürlichen Wir-
kung der Lektüre nicht unempfunden lassen konnte. Jedoch galt mir Feuerbach
nun einmal als Repräsentant der rücksichtslos radikalen Befreiung des Indivi-
duum's vom Drucke hemmender, dem Autoritätsglauben angehörender Vor-
stellungen, und dem Eingeweihten wird es recht wohl erklärlich dünken, wel-
ches Gefühl mich bestimmte, als ich meine Schrift ,das Kunstwerk der Zukunft'
mit einer Dedikation und einem Vorworte an Feuerbach einleitete. Meinen
Freund Sulzer, einen wohlgeschulten Hegelianer, verdross es sehr, mich in die-
ser, zu dem von ihm gar nicht als Philosoph gezählten Feuerbach angenomme-
nen, Stellung zu sehen. Das Beste an der Sache wäre, so meinte er, dass mich
Feuerbach zu Gedanken angeregt habe, während dieser selbst keine besitze.
Was mich dagegen wirklich bestimmt hatte, Feuerbach eine für mich wichtige
Bedeutung beizulegen, war dessen Schluss, mit welchem er von seinem ur-
sprünglichen Meister Hegel abfiel: dass nämlich die beste Philosophie sei, gar
einander, die in diesem „Bühnenweihfestspiel" eine theatralische Profanie-
rung des Christentums sehen. „Ich will nicht glauben, dass die Profanations-
Weherufer die wahre Religion in ihrer Macht und Bedeutung unterschätzen,
aber sie überschätzen, meines Erachtens, die Macht und Bedeutung der Reli-
gions-Spielerei im ,Parsifal'." (Hanslick 1884, 336).
342, 25 f. Man erinnere sich, wie begeistert seiner Zeit Wagner in den Fusstapfen
des Philosophen Feuerbach gegangen ist] In seiner Autobiographie Mein Leben,
deren für Freunde angefertigten Privatdruck N. einst in Basel überwacht hatte,
berichtet Wagner anlässlich der Revolutionswirren von 1849, dass ihn „ein ge-
wisser Menzdorff, deutschkatholischer Prediger, ein ernster jüngerer Mann"
„bei einem bedeutenden Gespräche zum ersten Male auf die Lektüre Feuer-
bach's verwiesen" habe (Wagner 1911, 1, 482), und er beschreibt die „innere
Aufregung", „die namentlich in Folge des Bekanntwerdens mit den Haupt-
schriften Ludwig Feuerbach's in mir genährt wurde" (ebd., 507). „Jetzt brachte
mir mein neuer Züricher Freund, der Klavierlehrer Wilhelm Baumgartner, des-
sen Buch über ,Tod und Unsterblichkeit' in das Haus. Der allerseits anerkannte,
sehr anregende, lyrische Styl des Verfassers übte auf mich, als gänzlich Fach-
ungebildeten, einen grossen Reiz aus. [...] Die Unumwundenheit, zu welcher
sich Feuerbach in den reiferen Theilen seines Buches endlich über diese tief
interessirenden Fragen ermuthigt, gefielen mir eben so ihrer tragischen, wie
social-radikalen Tendenz wegen, sehr. Es schien mir rühmlich und lohnend,
die einzige wahre Unsterblichkeit nur der erhabenen That, oder dem geistvol-
len Kunstwerke zugetheilt zu wissen. Etwas schwerer gelang es bereits, mich
für ,das Wesen des Christenthum's' von demselben Verfasser bei dauerndem
Interesse zu erhalten, da ich die Breite und unbehülfliche Ausdehnung der
Darstellung des einfachen Grundgedankens, die Religion vom rein subjektiven
psychologischen Standpunkte aus zu erklären, unter der unwillkürlichen Wir-
kung der Lektüre nicht unempfunden lassen konnte. Jedoch galt mir Feuerbach
nun einmal als Repräsentant der rücksichtslos radikalen Befreiung des Indivi-
duum's vom Drucke hemmender, dem Autoritätsglauben angehörender Vor-
stellungen, und dem Eingeweihten wird es recht wohl erklärlich dünken, wel-
ches Gefühl mich bestimmte, als ich meine Schrift ,das Kunstwerk der Zukunft'
mit einer Dedikation und einem Vorworte an Feuerbach einleitete. Meinen
Freund Sulzer, einen wohlgeschulten Hegelianer, verdross es sehr, mich in die-
ser, zu dem von ihm gar nicht als Philosoph gezählten Feuerbach angenomme-
nen, Stellung zu sehen. Das Beste an der Sache wäre, so meinte er, dass mich
Feuerbach zu Gedanken angeregt habe, während dieser selbst keine besitze.
Was mich dagegen wirklich bestimmt hatte, Feuerbach eine für mich wichtige
Bedeutung beizulegen, war dessen Schluss, mit welchem er von seinem ur-
sprünglichen Meister Hegel abfiel: dass nämlich die beste Philosophie sei, gar