Stellenkommentar GM III 6, KSA 5, S. 346 425
ferner NK 347, 5-11). Auch Liebmann 1880, 582 gibt zu, dass Kant „die Kunst
nur vom Hörensagen, nicht durch Autopsie und Autästhesie bekannt war".
Djuric 1985, 222 argumentiert, N.s Kritik gehe an Kant völlig vorbei. Promi-
nenten Gebrauch macht die Kritik der Urteilskraft vom „Zuschauer" nicht ange-
sichts des Schönen, sondern des Erhabenen, wenn die „Verwunderung" zur
Analyse ansteht, „die an Schreck gränzt, das Grausen und der heilige Schauer,
welcher den Zuschauer bei dem Anblicke himmelansteigender Gebirgsmassen,
tiefer Schlünde und darin tobender Gewässer, tiefbeschatteter, zum schwermü-
thigen Nachdenken einladender Einöden u. s. w. ergreift" (AA V, 269).
346, 32-347, 5 Wäre aber wenigstens nur dieser „Zuschauer" den Philosophen
des Schönen ausreichend bekannt gewesen! — nämlich als eine grosse persön-
liche Thatsache und Erfahrung, als eine Fülle eigenster starker Erlebnisse, Be-
gierden, Überraschungen, Entzückungen auf dem Gebiete des Schönen!] Vgl.
NK 247, llf. und NK 346, 19-25. Obwohl es bei Schopenhauer durchaus auch
eine produktionsästhetische Genie-Ästhetik gibt (vgl. Neymeyr 1996, 231 gegen
Heftrich 1991, 265), macht auch er den „Zuschauer" stark, aber als einen, der in
der ästhetischen Kontemplation Erholung von der Bürde des rastlosen Willens
findet, also erfahrungsgesättigt ist und zu einer seltenen Spezies gehört: „Der
Wunsch ist, seiner Natur nach, Schmerz: die Erreichung gebiert bald Sätti-
gung: das Ziel war nur scheinbar: der Besitz nimmt den Reiz weg: unter einer
neuen Gestalt stellt sich der Wunsch, das Bedürfniß wieder ein: wo nicht, so
folgt Oede, Leere, Langeweile, gegen welche der Kampf ebenso quälend ist,
wie gegen die Noth. - [...] Das, was man sonst den schönsten Theil, die reinsten
Freuden des Lebens nennen möchte, eben auch nur, weil es uns aus dem rea-
len Daseyn heraushebt und uns in antheilslose Zuschauer desselben verwan-
delt, also das reine Erkennen, dem alles Wollen fremd bleibt, der Genuß des
Schönen, die ächte Freude an der Kunst, dies ist, weil es schon seltene Anlagen
erfordert, nur höchst Wenigen und diesen nur als ein vorübergehender Traum
vergönnt" (Schopenhauer 1873-1874, 2, 370). Das ästhetische Nur-Zuschauer-
sein-Dürfen befreit nach Schopenhauer also von den Willenslasten des Da-
seins, aber bloß vorübergehend - es entbindet das in ästhetische Kontemplati-
on versunkene Subjekt, ganz gegen die in GM III 6 privilegierte Haltung, gerade
davon, Welterfahrungen machen zu müssen.
Zu welch absonderlichen und irreführenden Schlussfolgerungen der insbe-
sondere bei englischsprachigen Interpreten vorherrschende exklusive Ge-
brauch von Übersetzungen bei der N.-Auslegung führt, lässt sich exemplarisch
anhand von 346, 32-347, 5 bei Ridley 2011, 312 beobachten, der eine unzutref-
fende Übersetzung gegen eine andere, ebenso irreführende ausspielt, ohne sei-
ne Zeit mit einem Blick in den Originaltext zu verschwenden, um sich stattdes-
sen einen N. ad libitum zurechtzulegen.
ferner NK 347, 5-11). Auch Liebmann 1880, 582 gibt zu, dass Kant „die Kunst
nur vom Hörensagen, nicht durch Autopsie und Autästhesie bekannt war".
Djuric 1985, 222 argumentiert, N.s Kritik gehe an Kant völlig vorbei. Promi-
nenten Gebrauch macht die Kritik der Urteilskraft vom „Zuschauer" nicht ange-
sichts des Schönen, sondern des Erhabenen, wenn die „Verwunderung" zur
Analyse ansteht, „die an Schreck gränzt, das Grausen und der heilige Schauer,
welcher den Zuschauer bei dem Anblicke himmelansteigender Gebirgsmassen,
tiefer Schlünde und darin tobender Gewässer, tiefbeschatteter, zum schwermü-
thigen Nachdenken einladender Einöden u. s. w. ergreift" (AA V, 269).
346, 32-347, 5 Wäre aber wenigstens nur dieser „Zuschauer" den Philosophen
des Schönen ausreichend bekannt gewesen! — nämlich als eine grosse persön-
liche Thatsache und Erfahrung, als eine Fülle eigenster starker Erlebnisse, Be-
gierden, Überraschungen, Entzückungen auf dem Gebiete des Schönen!] Vgl.
NK 247, llf. und NK 346, 19-25. Obwohl es bei Schopenhauer durchaus auch
eine produktionsästhetische Genie-Ästhetik gibt (vgl. Neymeyr 1996, 231 gegen
Heftrich 1991, 265), macht auch er den „Zuschauer" stark, aber als einen, der in
der ästhetischen Kontemplation Erholung von der Bürde des rastlosen Willens
findet, also erfahrungsgesättigt ist und zu einer seltenen Spezies gehört: „Der
Wunsch ist, seiner Natur nach, Schmerz: die Erreichung gebiert bald Sätti-
gung: das Ziel war nur scheinbar: der Besitz nimmt den Reiz weg: unter einer
neuen Gestalt stellt sich der Wunsch, das Bedürfniß wieder ein: wo nicht, so
folgt Oede, Leere, Langeweile, gegen welche der Kampf ebenso quälend ist,
wie gegen die Noth. - [...] Das, was man sonst den schönsten Theil, die reinsten
Freuden des Lebens nennen möchte, eben auch nur, weil es uns aus dem rea-
len Daseyn heraushebt und uns in antheilslose Zuschauer desselben verwan-
delt, also das reine Erkennen, dem alles Wollen fremd bleibt, der Genuß des
Schönen, die ächte Freude an der Kunst, dies ist, weil es schon seltene Anlagen
erfordert, nur höchst Wenigen und diesen nur als ein vorübergehender Traum
vergönnt" (Schopenhauer 1873-1874, 2, 370). Das ästhetische Nur-Zuschauer-
sein-Dürfen befreit nach Schopenhauer also von den Willenslasten des Da-
seins, aber bloß vorübergehend - es entbindet das in ästhetische Kontemplati-
on versunkene Subjekt, ganz gegen die in GM III 6 privilegierte Haltung, gerade
davon, Welterfahrungen machen zu müssen.
Zu welch absonderlichen und irreführenden Schlussfolgerungen der insbe-
sondere bei englischsprachigen Interpreten vorherrschende exklusive Ge-
brauch von Übersetzungen bei der N.-Auslegung führt, lässt sich exemplarisch
anhand von 346, 32-347, 5 bei Ridley 2011, 312 beobachten, der eine unzutref-
fende Übersetzung gegen eine andere, ebenso irreführende ausspielt, ohne sei-
ne Zeit mit einem Blick in den Originaltext zu verschwenden, um sich stattdes-
sen einen N. ad libitum zurechtzulegen.