Stellenkommentar GM III 7, KSA 5, S. 348 433
Feind behandelt" (349, 20 f.) habe. Allerdings habe er Feinde gerade nötig ge-
habt, um nicht das zu werden, was er eigentlich sein wollte, nämlich „Pessi-
mist" (349, 25), Lebensverächter, Lebensverneiner: Er hätte sich ansonsten
längst aus diesem angeblich so jämmerlichen Dasein verabschiedet, „seine
Feinde aber hielten ihn fest, seine Feinde verführten ihn immer wieder zum
Dasein" (349, 30 f.).
So viel meint GM III 7 zum „Persönlichste[n]" bei Schopenhauer verraten
zu dürfen, zugleich aber sei an ihm auch „noch etwas Typisches" (350, 2f.).
Tatsächlich gebe es, wohin man blicke, eine starke Neigung der Philosophen,
die Sinnlichkeit zu verleugnen und sich das asketische Ideal zu eigen zu ma-
chen. Aber warum ist das so? Der Philosoph strebe wie jedes andere Lebewesen
nach den für seine Lebensweise besten Bedingungen und trachte danach, alles
auszuschließen, was sie behindern könne. Und zu diesen Hindernissen gehört
für den ungestört denken wollenden Philosophen eben die Sinnlichkeit, na-
mentlich auch Ehe und Familie, die - wie einst von Buddha - als schlimme
Fesseln empfunden werden (vgl. 351, 5 f.). Im asketischen Ideal finden die Phi-
losophen „so viele Brücken zur Unabhängigkeit" (351, 13 f.), dass sie ihm
kaum widerstehen können. Ihr Bestreben sei es, alle „Unfreiheit" (351, 17) ab-
zuwerfen, und dazu biete ihnen das asketische Ideal ein vorzügliches Instru-
ment. Was, so fragt das Ende von GM III 7 noch einmal, bedeute also das aske-
tische Ideal für den Philosophen? Antwort: Dieser verneine damit keineswegs
das Dasein, vielmehr bejahe er gerade sein eigenes Dasein. Dieses erscheint
als ein denkendes Dasein, das sich von allen Denkhindernissen freimachen
muss. Askese, Weltenthaltungspraktiken sind beim Philosophen kein Selbst-
zweck, sondern ein Mittel, er selbst zu werden und zu sein.
Fragen bleiben: GM III 7 analysiert keine philosophischen Askese-Lehren,
also das, was Philosophen über Askese sagen, sondern vielmehr, was ihr tat-
sächliches Leben über den Umgang mit asketischen Idealen verrät. So kann
Schopenhauer zum Lebensbejaher umgewertet werden, weil er sich insgeheim
selbst bejaht habe. Er habe den Hass auf das Sexuelle, auf die Frauen und auf
Hegel (349, 27) gebraucht, um sich als Philosoph zu konstituieren, scheint sich
also in einem Verhältnis der Abhängigkeit von äußeren Hass-Projektionsfakto-
ren befunden und jene Unabhängigkeit noch nicht erreicht zu haben, von der
in GM III 7 später die Rede ist. Schopenhauer benötigte also die Welt, um philo-
sophisch fruchtbar zu sein. In GM III 8 wird hingegen der - gleich eingang in
GM Vorrede 1 nachdrücklich im Selbstbezug erzeugte (vgl. NK 247, 11-15) - Ein-
druck stärker Raum greifen, der Philosoph würde gar keiner Außenweltkom-
munikation bedürfen, könne aus intellektueller Jungfrauengeburt die eigene,
die gewollte Wirklichkeit erzeugen.
Nach GM III 7 bis 10 haben die Philosophen wesentlich zwei Gründe, sich
des asketischen Ideals zu befleißigen: Einerseits benutzen sie es, um sich Frei-
Feind behandelt" (349, 20 f.) habe. Allerdings habe er Feinde gerade nötig ge-
habt, um nicht das zu werden, was er eigentlich sein wollte, nämlich „Pessi-
mist" (349, 25), Lebensverächter, Lebensverneiner: Er hätte sich ansonsten
längst aus diesem angeblich so jämmerlichen Dasein verabschiedet, „seine
Feinde aber hielten ihn fest, seine Feinde verführten ihn immer wieder zum
Dasein" (349, 30 f.).
So viel meint GM III 7 zum „Persönlichste[n]" bei Schopenhauer verraten
zu dürfen, zugleich aber sei an ihm auch „noch etwas Typisches" (350, 2f.).
Tatsächlich gebe es, wohin man blicke, eine starke Neigung der Philosophen,
die Sinnlichkeit zu verleugnen und sich das asketische Ideal zu eigen zu ma-
chen. Aber warum ist das so? Der Philosoph strebe wie jedes andere Lebewesen
nach den für seine Lebensweise besten Bedingungen und trachte danach, alles
auszuschließen, was sie behindern könne. Und zu diesen Hindernissen gehört
für den ungestört denken wollenden Philosophen eben die Sinnlichkeit, na-
mentlich auch Ehe und Familie, die - wie einst von Buddha - als schlimme
Fesseln empfunden werden (vgl. 351, 5 f.). Im asketischen Ideal finden die Phi-
losophen „so viele Brücken zur Unabhängigkeit" (351, 13 f.), dass sie ihm
kaum widerstehen können. Ihr Bestreben sei es, alle „Unfreiheit" (351, 17) ab-
zuwerfen, und dazu biete ihnen das asketische Ideal ein vorzügliches Instru-
ment. Was, so fragt das Ende von GM III 7 noch einmal, bedeute also das aske-
tische Ideal für den Philosophen? Antwort: Dieser verneine damit keineswegs
das Dasein, vielmehr bejahe er gerade sein eigenes Dasein. Dieses erscheint
als ein denkendes Dasein, das sich von allen Denkhindernissen freimachen
muss. Askese, Weltenthaltungspraktiken sind beim Philosophen kein Selbst-
zweck, sondern ein Mittel, er selbst zu werden und zu sein.
Fragen bleiben: GM III 7 analysiert keine philosophischen Askese-Lehren,
also das, was Philosophen über Askese sagen, sondern vielmehr, was ihr tat-
sächliches Leben über den Umgang mit asketischen Idealen verrät. So kann
Schopenhauer zum Lebensbejaher umgewertet werden, weil er sich insgeheim
selbst bejaht habe. Er habe den Hass auf das Sexuelle, auf die Frauen und auf
Hegel (349, 27) gebraucht, um sich als Philosoph zu konstituieren, scheint sich
also in einem Verhältnis der Abhängigkeit von äußeren Hass-Projektionsfakto-
ren befunden und jene Unabhängigkeit noch nicht erreicht zu haben, von der
in GM III 7 später die Rede ist. Schopenhauer benötigte also die Welt, um philo-
sophisch fruchtbar zu sein. In GM III 8 wird hingegen der - gleich eingang in
GM Vorrede 1 nachdrücklich im Selbstbezug erzeugte (vgl. NK 247, 11-15) - Ein-
druck stärker Raum greifen, der Philosoph würde gar keiner Außenweltkom-
munikation bedürfen, könne aus intellektueller Jungfrauengeburt die eigene,
die gewollte Wirklichkeit erzeugen.
Nach GM III 7 bis 10 haben die Philosophen wesentlich zwei Gründe, sich
des asketischen Ideals zu befleißigen: Einerseits benutzen sie es, um sich Frei-