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Stellenkommentar GM III 12, KSA 5, S. 363 467

Z. 40-43. In NL 1881, KSA 9, 12[231], 617, 4 f. standen „lux" und „crux" noch
alleine). Warum die Nuss ins Spiel kommt, macht GM III 9, KSA 5, 358, 5 deut-
lich, wo der moderne (in christlicher Tradition stehende) inquisitorische
Selbstumgang uns „Nussknacker[n] der Seele" zugeschrieben wird. Das moder-
ne und philosophische Nussknackertum hat in der christlichen Selbstzerflei-
schung (etwa eines Blaise Pascal) seine große Vorläuferin. Zum Kreuz vgl. NK
KSA 6, 52, 16 f.

12.
Von der inneren Widersprüchlichkeit des asketischen Priesters ausgehend, die
der vorangehende Abschnitt postuliert hat, fragt GM III 12 zunächst, was denn
geschehe, wenn ein solcher selbstwidersprüchlicher Wille ins Philosophieren
gerate. Nach der gegebenen Analyse tut er zunächst das Erwartbare: Er unter-
werfe nämlich das Naheliegendste, „die Leiblichkeit" resoluter Kritik und de-
gradiere sie „zur Illusion" (364, 6). Aber der philosophierende asketische Wille
belässt es nicht dabei, sondern gibt auch die Vernunft preis, indem er sie als
unfähig hinstelle, irgendetwas zu erkennen, was des Erkennens wert wäre -
das Höhere, das „Reich der Wahrheit und des Seins" (364, 15).
Das sprechende „Wir" verurteilt diese leib- und vernunftverachtende Posi-
tion jedoch mitnichten pauschal, denn diese Verkehrung der landläufigen
Sicht- und Wertungsweisen drücke eine bewunderungswürdige Selbstdiszipli-
nierung, eine „Zucht und Vorbereitung des Intellektes zu seiner einstmaligen
,Objektivität'" (364, 28 f.) aus, als „das Vermögen, sein Für und Wider in der
Gewalt zu haben und aus- und einzuhängen: so dass man sich gerade die
Verschiedenheit der Perspektiven und der Affekt-Interpretationen für die
Erkenntniss nutzbar zu machen weiss" (364, 31-365, 1). In diesem philosophie-
renden Asketismus kommt also durchaus so etwas wie Souveränität zum Tra-
gen — nämlich Herr seiner Vorstellungen zu sein. Die asketisch gesinnten Phi-
losophen erscheinen, unabhängig vom Gegenstand, vom Inhalt ihrer Abstrakti-
onskünste, gerade als Vorläufer des „Wir", jener Philosophen der Gegenwart
und der Zukunft, die nach einer neuen Art der „,Objektivität'" (365, 17 f.) trach-
ten und gleichzeitig die „alte[.] Begriffs-Fabelei" (365, 3) hinter sich gelassen
haben - eine „Begriffs-Fabelei", die von einem reinen Erkenntnissubjekt, rei-
ner Erkenntnis, ,„absolute[r] Geistigkeit'" (365, 6) faselt und sich damit in Wi-
dersprüchlichkeiten verstrickt. Jedes Sehen sei „nur ein perspektivisches Se-
hen", jedes Erkennen „nur ein perspektivisches ,Erkennen'" (365, 13 f.). Als
Ziel wird ausgegeben, was man in der N.-Rezeption N.s ,Perspektivismus' zu
nennen sich angewöhnt hat, ohne dass N. sich selbst zu einem solchen Ismus
 
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