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552 Zur Genealogie der Moral

Chinois et les Hindous qui fument l'opium que pour les Europeens qui boivent
de l'alcool." (Richet 1884, 92. „Was nun alle Vergiftungen des Nervensystems
auszeichnet, ist, dass das Gift, bevor es zerstört, übermäßig erregt: Es ist diese
Übererregung, die der Mensch mit Inbrunst, mit Leidenschaft sucht. Sobald sie
zur Gewohnheit geworden ist, drängt sie sich mit einer solchen Kraft auf, dass
sie nichts mehr bekämpfen kann. Sie ist ein großes soziales Übel, sowohl für
die Chinesen und die Hindus, die Opium rauchen, als auch für die Europäer,
die Alkohol trinken.") Alkoholismus und Christentum werden in ihren ge-
schichtlich fatalen Auswirkungen mitunter parallelisiert, vgl. FW 147, KSA 3,
492 und NK KSA 6, 250, 3 f. (und den bald im Druck erscheinenden Vortrag von
Eduardo Nasser an der GIRN-Tagung in Basel, Juni 2016). Zur Syphilis vgl.
NK 378, 25 f. und NK 378, 26-29. Dass sie hier genannt wird, hat gelegentlich
zu biographischen Spekulationen Anlass gegeben. Aber das Argument ist ein
kultur-, kein individualdiagnostisches.
392, 29 magno sed proxima intervallo] Lateinisch: „am nächsten, aber mit gro-
ßem Abstand". Vgl. Vergil: Aeneis V 320: „proximus huic, longo sed proximus
intervallo" („Diesem zunächst, doch näher in langausreichendem Abstand".
Übersetzung Johann Heinrich Voß).
22.
Der Absatz bietet eine ästhetische Digression, ohne auf die Frage von GM III 11
explizit zurückzukommen, ob nicht doch ein Lebensinteresse hinter dem aske-
tischen Ideal stehe, nachdem nun zumindest implizit klar geworden ist, dass
es zumindest dem Lebensinteresse des sprechenden „Wir" und der Starken ab-
träglich und selbst den Lebensinteressen der Kranken keineswegs zuträglich
ist. GM III 22 beginnt mit der resümierenden Feststellung, ,,[d]er asketische
Priester" habe „die seelische Gesundheit verdorben" (392, 31 f.), wo er herr-
schend geworden sei, „folglich auch den Geschmack" (392, 32-393, 1). Die
Sprecherinstanz fällt sich gleich selbst ins Wort, versieht das „Folglich" mit
Anführungs- und Fragezeichen (393, 2) und setzt das Einverständnis der Leser
voraus: „Ich hoffe, man giebt mir dies Folglich einfach zu; zum Mindesten will
ich es nicht erst beweisen." (393, 2-4) Stattdessen verlegt sich das „Ich" auf
Beispiele, nämlich die frühchristliche Literatur, einschließlich und besonders
das Neue Testament, von dem das Alte Testament sehr vorteilhaft absteche.
Dieses Neue Testament zeuge von der Impertinenz kleiner Leute, die sich un-
endlich wichtig nähmen und mit ihrem Gott auf Du und Du sein zu können
wähnten. Es fehle ihnen jede „Ehrfurcht" (394, 19) und sie scheuten sich nicht,
Gott mit all den nichtswürdigen Kleinigkeiten ihrer nichtswürdigen Existenz
 
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