Stellenkommentar GM III 22, KSA 5, S. 393 555
393, 16-18 ungefähr so, wie heute die englische „Heilsarmee" mit einer ver-
wandten Litteratur ihren Kampf gegen Shakespeare und andre „Heiden" kämpft.]
Vgl. zu N.s Interesse an der Heilsarmee als wiederauflebendem religiösem Irr-
sinn NK KSA 5, 68, 23-28. Eine Agitation der ja erst im 19. Jahrhundert gegrün-
deten Heilsarmee - die weltliches Theater ablehnte - besonders gegen Shakes-
peare ist aus dem zeitgenössischen Schrifttum bislang nicht zu erheben. Der
einzige, allerdings sehr lose Zusammenhang ergibt sich aus dem Bericht von
Josef Paneth über seine Begegnungen mit N. im Jahr 1884. Dort rapportiert
Paneth am 29. 01. 1884 zunächst Überlegungen N.s wie folgt: „Und wir dürften
nie daran vergessen, wie naheliegend die Gefahr sei, daß es wieder ganz
dunkel werde. Der amerikanische Spiritismus und die ,Heilsarmee', Christen-
thum mit Tanz bewiesen das." (KGW VII 4/2, 20) Wenige Tage später, am
15. 02. 1884, vermerkt Paneth: „Heute mittag kam Nietzsche zu mir. Er blieb
aber nicht lange, sondern gieng sehr bald zurück, weil er einem Vortrag über
Shakespeare anwohnen wollte." (KGW VII 4/2, 21) Was immer das für ein Vor-
trag war - die Kulturrelevanz der Heilsarmee scheint N. in diesen Wintermona-
ten parallel zu Shakespeare umgetrieben zu haben.
393, 22 f. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders"] Anspielung auf die angebli-
che Antwort Martin Luthers am Wormser Reichstag (18. April 1521) auf die Fra-
ge, ob er zum Widerruf bereit sei: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott
helfe mir! Amen." Bereits in Büchmann 1882, 372 werden die gelehrten Zweifel
an der Authentizität des Ausspruchs dem allgemeinen Publikum unterbreitet.
Vgl. NK KSA 6, 302, 5. In N.s Hauptquelle für Luther-Zitate in GM III, Erich
Schmidts Aufsatz „Faust und das sechzehnte Jahrhundert" (vgl. NK 357, llf.),
kommt die berühmte Stelle nicht vor.
393, 23 ich habe den Muth zu meinem schlechten Geschmack] „,I1 n'a pas peur
d'etre de mauvais goüt, lui.‘ Stendhal", notierte sich N. in NL 1884, KSA 11,
25[169], 59, 10 („Er hatte keine Angst, schlechten Geschmack zu haben"). N.
nimmt die Wendung dann erläuternd in seinem Brief an Köselitz vom
09. 12. 1886 auf: „Ihr Wort über den eignen anti-tragischen Instinkt hat
mich sehr erquickt, es ist viel erreicht, wenn man es in solchen Dingen bei sich
zur Aufrichtigkeit bringt und ,den Muth zu seinem Geschmacke' hat. Letzte
Wendung ist von Stendhal: er lobt es an dem jungen Sorel, daß er den Muth
zu seinem schlechten Geschmacke habe" (KSB 7/KGB III 3, Nr. 779, S. 289,
Z. 19-25). Gemeint ist Julien Sorel, der Protagonist in Stendhals Roman Le
rouge et le noir, wo es heißt: „Mon petit Julien /300/ brülerait la cervelle au
jacobin qui viendrait l'arreter, pour peu qu'il eüt l'esperance de se sauver. Il
n'a pas peur d'etre de mauvais goüt, lui." (Stendhal 1884, 2, 299 f. „Mein klei-
ner Julien dagegen würde dem Jakobiner, der ihn festnehmen wollte, eine Ku-
393, 16-18 ungefähr so, wie heute die englische „Heilsarmee" mit einer ver-
wandten Litteratur ihren Kampf gegen Shakespeare und andre „Heiden" kämpft.]
Vgl. zu N.s Interesse an der Heilsarmee als wiederauflebendem religiösem Irr-
sinn NK KSA 5, 68, 23-28. Eine Agitation der ja erst im 19. Jahrhundert gegrün-
deten Heilsarmee - die weltliches Theater ablehnte - besonders gegen Shakes-
peare ist aus dem zeitgenössischen Schrifttum bislang nicht zu erheben. Der
einzige, allerdings sehr lose Zusammenhang ergibt sich aus dem Bericht von
Josef Paneth über seine Begegnungen mit N. im Jahr 1884. Dort rapportiert
Paneth am 29. 01. 1884 zunächst Überlegungen N.s wie folgt: „Und wir dürften
nie daran vergessen, wie naheliegend die Gefahr sei, daß es wieder ganz
dunkel werde. Der amerikanische Spiritismus und die ,Heilsarmee', Christen-
thum mit Tanz bewiesen das." (KGW VII 4/2, 20) Wenige Tage später, am
15. 02. 1884, vermerkt Paneth: „Heute mittag kam Nietzsche zu mir. Er blieb
aber nicht lange, sondern gieng sehr bald zurück, weil er einem Vortrag über
Shakespeare anwohnen wollte." (KGW VII 4/2, 21) Was immer das für ein Vor-
trag war - die Kulturrelevanz der Heilsarmee scheint N. in diesen Wintermona-
ten parallel zu Shakespeare umgetrieben zu haben.
393, 22 f. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders"] Anspielung auf die angebli-
che Antwort Martin Luthers am Wormser Reichstag (18. April 1521) auf die Fra-
ge, ob er zum Widerruf bereit sei: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott
helfe mir! Amen." Bereits in Büchmann 1882, 372 werden die gelehrten Zweifel
an der Authentizität des Ausspruchs dem allgemeinen Publikum unterbreitet.
Vgl. NK KSA 6, 302, 5. In N.s Hauptquelle für Luther-Zitate in GM III, Erich
Schmidts Aufsatz „Faust und das sechzehnte Jahrhundert" (vgl. NK 357, llf.),
kommt die berühmte Stelle nicht vor.
393, 23 ich habe den Muth zu meinem schlechten Geschmack] „,I1 n'a pas peur
d'etre de mauvais goüt, lui.‘ Stendhal", notierte sich N. in NL 1884, KSA 11,
25[169], 59, 10 („Er hatte keine Angst, schlechten Geschmack zu haben"). N.
nimmt die Wendung dann erläuternd in seinem Brief an Köselitz vom
09. 12. 1886 auf: „Ihr Wort über den eignen anti-tragischen Instinkt hat
mich sehr erquickt, es ist viel erreicht, wenn man es in solchen Dingen bei sich
zur Aufrichtigkeit bringt und ,den Muth zu seinem Geschmacke' hat. Letzte
Wendung ist von Stendhal: er lobt es an dem jungen Sorel, daß er den Muth
zu seinem schlechten Geschmacke habe" (KSB 7/KGB III 3, Nr. 779, S. 289,
Z. 19-25). Gemeint ist Julien Sorel, der Protagonist in Stendhals Roman Le
rouge et le noir, wo es heißt: „Mon petit Julien /300/ brülerait la cervelle au
jacobin qui viendrait l'arreter, pour peu qu'il eüt l'esperance de se sauver. Il
n'a pas peur d'etre de mauvais goüt, lui." (Stendhal 1884, 2, 299 f. „Mein klei-
ner Julien dagegen würde dem Jakobiner, der ihn festnehmen wollte, eine Ku-