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594 Zur Genealogie der Moral

asketischen Ideal „in der geistigsten Sphäre einstweilen" (409, 4) bloß eine
echte Form von Gegnern gegenüberstünden, nämlich „die Komödianten dieses
Ideals" (409, 6). Wer diese „Komödianten" sind, bleibt indes unbestimmt: Aus-
zuschließen sind vermutlich diejenigen, die das Ideal travestieren in der Art
der in GM III 26 kritisierten, halbherzigen Historiker, die das Leben und das
asketische Ideal zugleich wollen, „Parfum Renan" (406, 31) - vermutlich auch
jene „Komödianten des christlich-moralischen Ideals", die heute gerade
„aus Europa exportirt werden müssten" (408, 14 f.), um auf dem Kontinent wie-
der für anständige Luft zu sorgen, also das asketische Ideal ganz offensichtlich
nicht beeinträchtigen.
Den Komödianten stehen diejenigen gegenüber, die mit dem Wissen-Wol-
len und der Wissenschaft überaus ernst machen, die in ihrem „Atheismus"'
(409, 10) auf alle Illusionen und Ideale verzichten - die alles aufgeben, außer
eben den „Willen[.] zur Wahrheit" selbst: „Dieser Wille aber, dieser Rest
von Ideal, ist, wenn man mir glauben will, jenes Ideal selbst in seiner strengs-
ten, geistigsten Formulirung" (409, 10-13). Das „Wir", das sich gleich als die
„geistigeren Menschen" (409, 16) zu erkennen gibt - während es in kein identi-
fikatorisches Verhältnis zu den viel wirkungsvolleren Idealbekämpfern, den
„Komödianten" getreten ist - übt sich in atheistischer Redlichkeit und hat die
„Lüge im Glauben an Gott" (409, 22) preisgegeben, und zwar in Folge,
wie mit einem FW-Zitat illustriert wird, einer ursprünglich sehr christlich-redli-
chen Haltung, wobei sich die Redlichkeit in Indien parallel zur Abschaffung
der Götter hin entwickelt habe. Es handelt sich um ein Selbstreflexiv-Werden
im weltgeschichtlichen Prozess, das wie eine Parodie der Selbstentwicklung
des Geistes bei Hegel anmutet.
Apodiktisch verkündet GM III 27, „große Dinge" gingen „durch sich selbst
zu Grunde", nämlich selbstaufhebend, „so will es das Gesetz des Lebens, das
Gesetz der nothwendigen Selbstüberwindung'" (410, 13-15). Woher dieses
„Gesetz" stammt und wo es sich außer in der Religions- und Geistesgeschichte
sonst noch zeigt, lässt GM III 27 offen, um stattdessen zu behaupten, dass das
Christentum als dogmatisches Gefüge, als Glaubenslehre an seiner „Moral" zu-
grunde gegangen sei - und nun müsse es noch „als Moral" (410, 19) zugrun-
de gehen: Jetzt werde die „christliche Wahrhaftigkeit" (410, 21) gegen sich
selbst vorgehen und danach fragen, was denn „aller Wille zur Wahr-
heit" (410, 24 f.) bedeute - „bedeuten" wiederum mindestens im Doppelsinn
genommen: welche Relevanz dieser Wille hat und was er verbirgt. Und das
„Wir" übt sich am Ende im Gestus der Selbsterkenntnis: Darin kommt der
Wahrheitswille „als Problem zum Bewusstsein" (410, 29 f.). Wobei die
Übung nicht nur Übung bleibt, wenn gefragt wird, „welchen Sinn [...] unser
ganzes Dasein" (410, 27 f.) hätte, bliebe eben diese Bewusstwerdung des Prob-
 
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