Studien über den Schwindel
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allein die etwa im Drehversuch zu beobachtenden Veränderungen
des Sensoriums und Motoriums nicht zutreffend erklären können,
daß die physiologischen zentralnervösen Abläufe eine viel größere
Berücksichtigung verdienen. Abels und Barany haben das seit
langem betont und M. H. Fischer hat in Verfolg dieser Anschauung
die vestibuläre Reizung benutzt zu einer Erregbarkeitsprüfung des
Z. N. S. Das Bewußtsein, daß zum Schwindel wesentlich Bewegungs-
wahrnehmungen und Gleichgewichtsstörungen gehören, tritt immer
stärker hervor. Von der Einheitlichkeit des Schwindelkomplexes
ist man überzeugt. Freilich wird diese vorläufig etwas vage und bei-
nahe selbstverständlich als Parallelität von Empfindungen und
Reflexen gefaßt, ohne diese Beziehung ausdrücklich zum Problem
zu machen und sie evtl, experimentell anzugehen. Im allgemeinen
werden Empfindungen und Reflexe des Schwindels gesondert
studiert und nebeneinander beschrieben, aber beiden wird die gleiche
Dignität zugestanden. In der Psychologie des Schwindels wird in
zunehmendem Maße die affektive Seite des Schwindelerlebnisses
betont, die sinnlichen dem Erkennen zugehörigen Bestandteile
treten zurück. Als spezifisches Unlustgefühl auf Grund einer be-
wußten oder befürchteten Störung des körperlichen Gleichgewichtes
(Curschmann), als ein den Allgemeingefühlen verwandter Reiz-
zustand (Kobrak), als eine Gemütsbewegung spezifischen Charakters
(Leidler) wird der Schwindel beschrieben und entsprechend dieser
Einstellung interessiert sich die Klinik mehr als früher für die Frage
des neurotischen Schwindels, seine Erscheinungsweise und seine
Psychophysiologie werden studiert. Noch weiter in dieser Erkenntnis
der größeren Ich-Nähe des Schwindelerlebnisses, seiner die Person
affizierenden Kraft führen Dürckheims Untersuchungen zum ge-
lebten Raum. In ihnen wird gezeigt, wie die elementare Orientiert-
heit nicht nur die Geordnetheit des Herum begründet, sondern zu-
gleich ein konstitutiver Faktor des wachen Selbst ist, das im Dreh-
schwindel ebenso ausgelöscht wird wie das Gefüge des Raumes.
Einen umfassenderen, weil anthropologischen Ausdruck, hat
v. Weizsäcker der in solchen Formulierungen fühlbar werdenden
Einsicht gegeben, wenn er den Schwindel so wie die Angst, die
Schwäche, die motorische Erregung, als Existenzkrise bezeichnet.
Damit kehrt in modernem Gewände eine alte Anschauung wieder —
oder sie klingt wenigstens an — die zwar nicht in einer wissenschaft-
lichen Lehre, wohl aber in einem ärztlichen Handeln ihren Nieder-
schlag fand. Als die alten Irrenärzte um die Wende vom 18. zum
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allein die etwa im Drehversuch zu beobachtenden Veränderungen
des Sensoriums und Motoriums nicht zutreffend erklären können,
daß die physiologischen zentralnervösen Abläufe eine viel größere
Berücksichtigung verdienen. Abels und Barany haben das seit
langem betont und M. H. Fischer hat in Verfolg dieser Anschauung
die vestibuläre Reizung benutzt zu einer Erregbarkeitsprüfung des
Z. N. S. Das Bewußtsein, daß zum Schwindel wesentlich Bewegungs-
wahrnehmungen und Gleichgewichtsstörungen gehören, tritt immer
stärker hervor. Von der Einheitlichkeit des Schwindelkomplexes
ist man überzeugt. Freilich wird diese vorläufig etwas vage und bei-
nahe selbstverständlich als Parallelität von Empfindungen und
Reflexen gefaßt, ohne diese Beziehung ausdrücklich zum Problem
zu machen und sie evtl, experimentell anzugehen. Im allgemeinen
werden Empfindungen und Reflexe des Schwindels gesondert
studiert und nebeneinander beschrieben, aber beiden wird die gleiche
Dignität zugestanden. In der Psychologie des Schwindels wird in
zunehmendem Maße die affektive Seite des Schwindelerlebnisses
betont, die sinnlichen dem Erkennen zugehörigen Bestandteile
treten zurück. Als spezifisches Unlustgefühl auf Grund einer be-
wußten oder befürchteten Störung des körperlichen Gleichgewichtes
(Curschmann), als ein den Allgemeingefühlen verwandter Reiz-
zustand (Kobrak), als eine Gemütsbewegung spezifischen Charakters
(Leidler) wird der Schwindel beschrieben und entsprechend dieser
Einstellung interessiert sich die Klinik mehr als früher für die Frage
des neurotischen Schwindels, seine Erscheinungsweise und seine
Psychophysiologie werden studiert. Noch weiter in dieser Erkenntnis
der größeren Ich-Nähe des Schwindelerlebnisses, seiner die Person
affizierenden Kraft führen Dürckheims Untersuchungen zum ge-
lebten Raum. In ihnen wird gezeigt, wie die elementare Orientiert-
heit nicht nur die Geordnetheit des Herum begründet, sondern zu-
gleich ein konstitutiver Faktor des wachen Selbst ist, das im Dreh-
schwindel ebenso ausgelöscht wird wie das Gefüge des Raumes.
Einen umfassenderen, weil anthropologischen Ausdruck, hat
v. Weizsäcker der in solchen Formulierungen fühlbar werdenden
Einsicht gegeben, wenn er den Schwindel so wie die Angst, die
Schwäche, die motorische Erregung, als Existenzkrise bezeichnet.
Damit kehrt in modernem Gewände eine alte Anschauung wieder —
oder sie klingt wenigstens an — die zwar nicht in einer wissenschaft-
lichen Lehre, wohl aber in einem ärztlichen Handeln ihren Nieder-
schlag fand. Als die alten Irrenärzte um die Wende vom 18. zum