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Achelis, Johann Daniel [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 9. Abhandlung): Über die Syphilisschriften Theophrasts von Hohenheim: Die Pathologie der Syphilis, 1 — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.43755#0022
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J. D. AcheliS: Syphilisschriften

Aus dem dann folgenden Entwurf einer in diesem Sinne be-
lebten Anatomie möchte ich zwei für das Verständnis der Syphilis-
schriften besonders wichtige Gesichtspunkte herausheben.
Der Gegenstand der Anatomie ist für Hohenheim zunächst
nicht der einzelne Mensch, sondern die ganze Menschheit. Es
ergibt sich bei einer derartigen vergleichenden Untersuchung, daß
nicht alle Menschen dieselbe Krankheit haben, sondern offenbar,
wenn man den modernen Terminus einführen darf, zwischen den
verschiedenen Konstitutionen und den Krankheiten bestimmte Be-
ziehungen bestehen. Bald schließen sie sich aus, bald stimmen sie
zusammen. Wie das Gold an viele Stellen der Welt verteilt ist
in seinem natürlichen Vorkommen und doch in bestimmten Ge-
steinen niemals vorkommt, ist auch eine Krankheit unter viele
Menschen verteilt und findet sich notwendig bei anderen Men-
schen nicht.
Damit ist dann eine weitere grundlegende Aussage in sehr
bestimmter Form gemacht: auch in den verschiedensten Einzel-
fällen einer Krankheit läßt sich immer wieder dieselbe eine
Krankheit erkennen. „Die anatomei probirt, daß alle krankheiten
membra sind sui corporis, scilicet morbi, und aber nur ein krank-
heit, gleich als alle öpfel ein apfel ist“ 51). Wenn man etwas
schematisierend gesagt hat, daß die Griechen eigentlich keine
Krankheiten, sondern nur in ihren normalen Funktionen gestörte
Einzelmenschen gekannt hätten, ist hier jedenfalls der Schritt
vollzogen, der dann die weitere Entwicklung der abendländischen
Medizin wie kein anderer bestimmt hat. Es ist erkannt, daß es
selbständige Krankheiten gibt, die dann auch eine krankheits-
spezifische Therapie erlauben. Ob diese Erkenntnis auf Para-
zelsus allein zurückgeht, ist mir zweifelhaft und bedürfte näherer
Untersuchung. Jedenfalls ist sie hier wohl zum ersten Mal zur
theoretischen Grundlage einer Pathologie geworden. — Wenn
man mit der vor einigen Jahren häufig erhobenen Forderung nach
Behandlung des „kranken Menschen“ nur die menschliche Seite
des ärztlichen Handelns meint, wird man dagegen nichts einzu-
wenden haben. Wenn damit aber gleichzeitig die Krankheitseinheit
angezweifelt werden soll, und vergessen wird, daß der Mensch
Krankheiten hat, müßte der Historiker ernste Bedenken an-
melden.

ßl) VII, 429.
 
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