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Goldschmidt, Victor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1921, 12. Abhandlung): Über Complikation und Displikation — Heidelberg: Winter, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.56266#0085
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Über Complikation und, Displikation.

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phisch oder durch Rechnung. Das geschieht durch Displikation.
Jeder Oktaeder-Vektor zerfällt in drei Komponenten in Richtung
der drei benachbarten Würfel-Vektoren. Nachdem dies geschehen,
setzt zwischen den neuen Würfel-Vektoren die Complikation ein
und erzeugt das neue Formensystem mit dem neuen Habitus.
Umgekehrt kann man das Würfel-Formensystem in ein Oktaeder-
Formensystem durch Displikation und darauffolgende Complikation
umsetzen. Wir sehen, beide Operationen gehen Hand in Hand.
Complikation und Displikation lassen sich ebensowenig trennen,
wie Addition und Subtraktion, Multiplikation und Division, Poten-
zieren und Radizieren u. a.
Beispiel 2. Ein Nikol-Prisma polarisiert das Licht. Es sam-
melt die Schwingungs-Vektoren in zwei aufeinander senkrechte
Richtungen durch Displikation. Eine Drehung des Prismas bewirkt
Umformung durch Sammlung auf neue Hauptrichtungen Das ge-
schieht durch Displikation.
Complikation und Displikation in der Kunst. In vielen,
ja wahrscheinlich in allen Gebieten der Kunst, wird das Gesetz der
Complikation an getroffen. Streng ließ es sich bisher in der Musik
und in der Farbenkunst nachweisen. Nun haben wir allgemein
gezeigt, daß Complikation und Displikation nicht zu trennen sind,
daß die eine der beiden Funktionen die andere voraussetzt und
mit sich bringt. Wir wollen nun für eine der Künste, für die
Musik, zeigen, daß sich in der Tat Displikation nachweisen läßt,
jg daß sie der Complikation vorausgeht.
Die Entwicklungsgeschichte der Musik gibt folgendes Bild: Aus
einfachen, primitiven Anfängen hat sich die Musik durch Compli-
kalion immer reicher entfaltet. Der Reichtum (besonders in der
Harmonie) hat zugenommen, bis er in der heutigen Musik zu einer
verwirrenden Fülle geführt hat und zu einer Überfeinerung und
einem Reichtum, die dem Chaos zustreben.
Der primitiven Musik ist jedoch ein chaotischer Zustand vor-
hergegangen. Es hat sich die primitive Musik aus dem Gewirr der
Klänge durch Bildung reiner Töne abgeklärt. Diese Abklärung ist
Displikation, d. h. Verdichtung (Sammlung) des Gewirrs der
Klänge auf wenige Einzelklänge. So wird die Sprache zum Gesang.
Das primitive Musikinstrument gibt einen Vorzugston an Stelle der
Geräusche. Wir können sagen:
Musik ist eine Abklärung zu harmonischen Gruppen
und Folgen aus dem Chaus des Erklingenden.
 
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