12 (B. 5.)
G. Klebs.
früherer Zeit unterschied man äußere und innere Variationen;
die ersteren sollten durch Außenfaktoren, die letzteren durch rein
innere, von der Außenwelt unabhängige Vorgänge hervorgerufen
sein. Vom kausalen Standpunkt ist es aber eine berechtigte, eigent-
lich notwendige Auffassung, daß alle Variationen einer Spezies
durch die Außenwelt hervorgerufen werden, indem diese mittelst
der Wirkung auf die inneren Bedingungen die in der spezifischen
Struktur schlummernden Potenzen verwirklicht. Zahllose Er-
fahrungen der letzten Jahrzehnte haben diese Anschauung bestä-
tigt. Es liegt hier eine wichtige Aufgabe der Entwicklungsphysio-
logie vor, diese potentielle Variationsbreite für jede Spezies ex-
perimentell festzustellen. Niemand wird bestreiten, daß das Ver-
hältnis zahlreicher Variationen zur Außenwelt heute noch unbe-
kannt ist. Ich erinnere z. B. an die verschiedenen Formen der
Blattstellung. Seitdem die mechanische Theorie der Blattstellung,
die Schwendener ausgearbeitet hatte, durch die Angriffe von
Schumann, Jost, Winkler usw. sehr erschüttert worden ist,
herrscht große Unsicherheit auf diesem Gebiete. Wenn wir eine
Pflanze wie Linaria purpurea betrachten, so fällt ungemein die
von Winkler (1901, S. 23) beobachtete Tatsache auf, daß das
gleiche Individuum, ja der gleiche Stengel die verschiedensten
Blattstellungsverhältnisse aufweist. Es gibt Sprosse, die unten
2gliedrige, weiter oben 3—4—5 — 6gliedrige Quirle von Blättern,
schließlich die Blätter in verschiedener schraubiger Anordnung
erzeugen. Uns fehlt jede Einsicht, worauf diese Mannigfaltigkeit
beruht. Es ist und bleibt aber ein leeres Wort, wenn man von
„inneren Variationen“ spricht. Die inneren Bedingungen müssen
in einem solchen Sproß Änderungen unterworfen sein, aber wie
sollten diese zustande kommen ohne Mitwirkung der Außenwelt ?
Wir kennen bereits Fälle, in denen es gelingt, die Blattstellung
künstlich zu ändern (Goerel, 1908, S. 94). Nach eigenen lang-
jährigen Studien mit Lysimachia in LTereinstimmung mit frü-
heren Beobachtungen von de Vries (1901, S.632) ist es möglich,
durch Änderungen der Ernährung experimentell zu bestimmen,
daß die Sprosse 2 oder 3 oder 4gliedrige Quirle bilden, ja daß
sie unter besonderen Umständen auch zur zerstreuten Blatt-
stellung übergehen.
Der Begriff der potentiellen Variationsbreite schließt noch
eine weitere wichtige Folgerung ein. Man ist gewohnt, die Ent-
wicklung einer Pflanze unter gewissen Bedingungen der freien
G. Klebs.
früherer Zeit unterschied man äußere und innere Variationen;
die ersteren sollten durch Außenfaktoren, die letzteren durch rein
innere, von der Außenwelt unabhängige Vorgänge hervorgerufen
sein. Vom kausalen Standpunkt ist es aber eine berechtigte, eigent-
lich notwendige Auffassung, daß alle Variationen einer Spezies
durch die Außenwelt hervorgerufen werden, indem diese mittelst
der Wirkung auf die inneren Bedingungen die in der spezifischen
Struktur schlummernden Potenzen verwirklicht. Zahllose Er-
fahrungen der letzten Jahrzehnte haben diese Anschauung bestä-
tigt. Es liegt hier eine wichtige Aufgabe der Entwicklungsphysio-
logie vor, diese potentielle Variationsbreite für jede Spezies ex-
perimentell festzustellen. Niemand wird bestreiten, daß das Ver-
hältnis zahlreicher Variationen zur Außenwelt heute noch unbe-
kannt ist. Ich erinnere z. B. an die verschiedenen Formen der
Blattstellung. Seitdem die mechanische Theorie der Blattstellung,
die Schwendener ausgearbeitet hatte, durch die Angriffe von
Schumann, Jost, Winkler usw. sehr erschüttert worden ist,
herrscht große Unsicherheit auf diesem Gebiete. Wenn wir eine
Pflanze wie Linaria purpurea betrachten, so fällt ungemein die
von Winkler (1901, S. 23) beobachtete Tatsache auf, daß das
gleiche Individuum, ja der gleiche Stengel die verschiedensten
Blattstellungsverhältnisse aufweist. Es gibt Sprosse, die unten
2gliedrige, weiter oben 3—4—5 — 6gliedrige Quirle von Blättern,
schließlich die Blätter in verschiedener schraubiger Anordnung
erzeugen. Uns fehlt jede Einsicht, worauf diese Mannigfaltigkeit
beruht. Es ist und bleibt aber ein leeres Wort, wenn man von
„inneren Variationen“ spricht. Die inneren Bedingungen müssen
in einem solchen Sproß Änderungen unterworfen sein, aber wie
sollten diese zustande kommen ohne Mitwirkung der Außenwelt ?
Wir kennen bereits Fälle, in denen es gelingt, die Blattstellung
künstlich zu ändern (Goerel, 1908, S. 94). Nach eigenen lang-
jährigen Studien mit Lysimachia in LTereinstimmung mit frü-
heren Beobachtungen von de Vries (1901, S.632) ist es möglich,
durch Änderungen der Ernährung experimentell zu bestimmen,
daß die Sprosse 2 oder 3 oder 4gliedrige Quirle bilden, ja daß
sie unter besonderen Umständen auch zur zerstreuten Blatt-
stellung übergehen.
Der Begriff der potentiellen Variationsbreite schließt noch
eine weitere wichtige Folgerung ein. Man ist gewohnt, die Ent-
wicklung einer Pflanze unter gewissen Bedingungen der freien