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Buddenbrock, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1916, 1. Abhandlung): Einige Bemerkungen über den Lichtsinn der Pulmonaten — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34596#0030
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22 (B.1)

W. V. BUDDENBROCK:

scheint mir in dem Richtungssehen die hauptsächlichste, nahezu
einzige Bedeutung des Auges zu hegen, und hierauf wurde meines
Wissens noch von keiner einzigen Seite aufmerksam gemacht.
Zu dieser Kategorie wirbelloser Tiere gehören voraussichtlich
auch gewisse Meeresschnecken, z. B. Littorina, sowie die Seesterne
und Seeigel. Von allen diesen Tieren ist es schon längst bekannt,
daß sie auf gewisse Gegenstände ihrer Umgebung, die eine ab-
weichende Helligkeit besitzen, zukriechenh
Bisher war es gänzlich unklar, warum sie das tun, denn an
dem Gegenstand selbst, der meist ein völlig gleichgültiger Stein
i Manche Forscher haben geglaubt, das hier verborgene Problem mit
dem Schlagworte des Heliotropismus erledigen zu können und haben es so
hingestellt, als sei die ganze Erscheinung nur als eine mechanische Zwangs-
bewegung des Tieres zu betrachten, ohne die geringste biologische Bedeutung.
So schreibt LoEB im Handbuch d. vergl. Physiol. von Winterstein, Aufsatz:
Die Tropismen, p. 473: ,,BoHN fand, daß die Bewegungen dieser Tiere (ZüMo-
rina) durch Oberflächen mit verschiedener Beleuchtung bestimmt werden.
Im allgemeinen bewegten sich die Tiere auf einen schwarzen Schirm hin, sie be-
wegen sich von einem hellen Schirm dagegen fort. Er konnte dabei die theo-
retisch wichtige Tatsache feststellen, daß die anziehenden Wirkungen von
schwarzen Schirmen sich wie die Kräfte in der Mechanik verbinden. Eine Litto-
rina, die zwischen zwei anziehende dunkle Schirme S und S^ gesetzt wird, wird
von beiden angezogen und bewegt sich infolge dessen zwischen beiden dem
Parallelogramm der Kräfte entsprechend. Das Tier stellt sich so ein, daß
beide Augen gleichmäßig erleuchtet sind. Die theoretische Bedeutung dieser
Tatsache liegt darin, wie BoHN in seinem Vortrag vor dem Genfer Psycho-
logenkongreß 1909 ausgeführt hat, daß es die anthropomorphe Auffassung
des Heliotropismus durch die mechanistische Auffassung ersetzt. Psycho-
logen hatten nämlich wiederholt behauptet, daß, wenn ein Tier zum Licht
gehe, es sich um dieselbe Erscheinung handle, wie wenn ein müder und in
die Irre gegangener Wanderer von dem erleuchteten Fenster einer Hütte
veranlaßt wird, sich zu dem Licht zu bewegen. Bonw weist mit Recht darauf
hin, daß, wenn ein solcher Wanderer zwei erleuchtete Häuser sieht, er nicht
zwischen beiden nach einem Parallelogramm der Kräfte diagonal durch-
marschiert, sondern daß er eines aufsucht."
Letzteren Vergleich erachte ich für sehr wenig zutreffend.
Der Unterschied zwischen Mensch und Schnecke in dem angeführten
Beispiel besteht darin, daß der Mensch in dem Hause allerlei Angenehmes
erwartet, z. B. Speise und Trank, während es wahrhaftig nicht einzusehen
ist, was die Schnecke mit dem schwarzen Schirm anfangen soll. Auf diesem
Unterschied beruht das verschiedene Verhalten beider. Setze ich dagegen
dem Menschen statt der beiden Häuser, zwei ebenso leuchtende Laternen
vor, mit denen keine weitere Nützlichkeit verbunden ist, außer daß sie den
Wanderer als Marschrichtungspunkte dienen, so wird auch er sicherlich der
Schnecke vergleichbar zwischen ihnen hindurchgehen.
 
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