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H. BLUNTSCHLi:
diesem oder jenem Lehrer neben ihrem Berufsstudium Anatomie
gehört und daraus wertvolle Bereicherung gezogen hätten. Man
wird mir zugeben müssen, daß solches heute eine Seltenheit ge-
worden ist. Aber man wird mir auch nicht bestreiten können,
daß es höchst wünschbar wäre, wenn viele Gebildete bessere und
richtigere Vorstellungen über die Natur und die Verhältnisse des
menschlichen Organismus hätten. Freilich die speziell für Medi-
ziner zugeschnittenen Vorlesungen und Kurse zu besuchen, kann
man ihnen nicht zumuten, und andere Möglichkeiten des Eindrin-
gens in die Materie gibt es heute doch im ganzen recht spärlich,
selbst an allgemein verständlich gehaltenen Lehrmitteln, die sich
über das rein Beschreibende erheben, herrscht wirklicher Mangel.
Es ist geradezu erstaunlich, daß heute nicht an jeder Universität
die Gelegenheit geboten wird, das Wichtigste über Bau und Ver-
richtung des menschlichen Körpers, über die Stellung des Menschen
in der Natur, über die Elemente der Entwicklungsgeschichte unseres
Körpers in kürzerer, und doch nicht oberflächlicher Weise, kennen
zu lernen und zwar nicht nur durch das Wort eines die Dinge
wirklich voll überblickenden Lehrers, sondern auch durch die
Anschauung von natürlichen Präparaten, durch die Vorführung
von Leichenöffnungen, die sich auf die hauptsächlichsten Punkte
beziehen. Hier klafft eine große Lücke in unserem Bildungswesen,
hier liegt eine bedeutsame Aufgabe vor, denn der Gebildete, der
heute Übersicht über geistige und soziale Probleme verlangt, der
sich lebhaft um den Erwerb naturwissenschaftlicher Kenntnisse
bemüht, der sollte doch nicht zuletzt auch die Frage nach seiner
eigenen Organisation nicht, nur aus zweiter oder dritter Quelle,
oder aus den Schaustellungen der Panoptiken beantwortet erhalten.
Wir brauchen uns meines Erachtens nicht zu wundern, daß der
Unterricht über den menschlichen Körperbau an den Mittel- und
Oberschulen so wenig auf jener Höhe steht, die er verdienen würde,
daß vielfach noch das Gruseln vor allem was sich Anatomie nennt,
das Interesse für den erhabenen Gegenstand überwiegt, daß wir
an einer gewissen Geringschätzung des Menschen und Menschen-
lebens kranken, weil eben so Wenige wirklichen Einblick in dies
für uns erhabenste Geschöpf natürlicher Gestaltungskraft, seine
so ungeheuer verwickelte Organisation, seine Abhängigkeit von
natürlichen Lebensbedingungen, seine Empfindlichkeit gegenüber
unnatürlicher Inanspruchnahme, kurzum in seine ganze im Körper-
lichen verankerte Leistungsfähigkeit bekommen.
H. BLUNTSCHLi:
diesem oder jenem Lehrer neben ihrem Berufsstudium Anatomie
gehört und daraus wertvolle Bereicherung gezogen hätten. Man
wird mir zugeben müssen, daß solches heute eine Seltenheit ge-
worden ist. Aber man wird mir auch nicht bestreiten können,
daß es höchst wünschbar wäre, wenn viele Gebildete bessere und
richtigere Vorstellungen über die Natur und die Verhältnisse des
menschlichen Organismus hätten. Freilich die speziell für Medi-
ziner zugeschnittenen Vorlesungen und Kurse zu besuchen, kann
man ihnen nicht zumuten, und andere Möglichkeiten des Eindrin-
gens in die Materie gibt es heute doch im ganzen recht spärlich,
selbst an allgemein verständlich gehaltenen Lehrmitteln, die sich
über das rein Beschreibende erheben, herrscht wirklicher Mangel.
Es ist geradezu erstaunlich, daß heute nicht an jeder Universität
die Gelegenheit geboten wird, das Wichtigste über Bau und Ver-
richtung des menschlichen Körpers, über die Stellung des Menschen
in der Natur, über die Elemente der Entwicklungsgeschichte unseres
Körpers in kürzerer, und doch nicht oberflächlicher Weise, kennen
zu lernen und zwar nicht nur durch das Wort eines die Dinge
wirklich voll überblickenden Lehrers, sondern auch durch die
Anschauung von natürlichen Präparaten, durch die Vorführung
von Leichenöffnungen, die sich auf die hauptsächlichsten Punkte
beziehen. Hier klafft eine große Lücke in unserem Bildungswesen,
hier liegt eine bedeutsame Aufgabe vor, denn der Gebildete, der
heute Übersicht über geistige und soziale Probleme verlangt, der
sich lebhaft um den Erwerb naturwissenschaftlicher Kenntnisse
bemüht, der sollte doch nicht zuletzt auch die Frage nach seiner
eigenen Organisation nicht, nur aus zweiter oder dritter Quelle,
oder aus den Schaustellungen der Panoptiken beantwortet erhalten.
Wir brauchen uns meines Erachtens nicht zu wundern, daß der
Unterricht über den menschlichen Körperbau an den Mittel- und
Oberschulen so wenig auf jener Höhe steht, die er verdienen würde,
daß vielfach noch das Gruseln vor allem was sich Anatomie nennt,
das Interesse für den erhabenen Gegenstand überwiegt, daß wir
an einer gewissen Geringschätzung des Menschen und Menschen-
lebens kranken, weil eben so Wenige wirklichen Einblick in dies
für uns erhabenste Geschöpf natürlicher Gestaltungskraft, seine
so ungeheuer verwickelte Organisation, seine Abhängigkeit von
natürlichen Lebensbedingungen, seine Empfindlichkeit gegenüber
unnatürlicher Inanspruchnahme, kurzum in seine ganze im Körper-
lichen verankerte Leistungsfähigkeit bekommen.