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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1910, 14. Abhandlung): Über Gleichheit und Identität — Heidelberg, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.32160#0010
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10

Wilhelm Windelbanrl:

stehen, von denen die Ableitnng ausgehen soll. 25) Will man
sich von diesen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten und
zugleich von den Folgen der Willkürlichkeit des Reflexions-
standpunkts, wonach „gleich“ und „ungleich“ prädiziert wird,
ein deutliches Bild machen, so durchdenke man die bekannte
historische Antinomie. Thesis: alle Menschen, gleichviel welcher
Rasse sie angehören, sind von Natur gleich; aiso gehührt ihnen
das Gleiche an politischen und sozialen Rechten. Antithesis:
die Rassen sind von Natur ungleich; damit ist ihre rechtliche
und gesellige Ungleichheit begründet. Ähnliches gilt auch von
dem religiösen Gesichtspunkt der „Gleichheit aller Menschen
vor Gott“, sofern daraus naturrechtliche Konsequenzen hahen
gezogen werden sollen.

Wie nun aber auch im einzelnen Falle das Verhältnis
zwischen Gleichheit und Unterschiedenheit bestimmt sein möge,
welche beide zusammen in dem Vergleichungsurteile unter allen
Umständen gedacht werden müssen — der Grund dieses Urteils
beruht auf dem unmittelbaren Erlebnis der Intuition. Es ist
eine der letzten, auf nichts weiter zurückführbaren Voraos-
setzungen unseres Denkens, daß wir mit voller Sicherheit aof-
zufassen vermögen, was in den Inhalten unsres Bewußtseins
gleich und was darin verschieden ist. Gegen meine Behaup-
tung, daß der Inhalt der einen von meinen Vorstellungen mit
dem einer anderen gleich bzw. ungleich sei, gibt es keine In-
stanz und kein Kriterium, woran appelliert werden könnte.
Diese Unterscheidungen und Gleichsetzungen sind die elemen-
taren Momente alles Denkens. Aber jene intuitive Sicherheit und
Richtigkeit des Vergleichungsurteils gilt deshalb auch nur für
jeden einzelnen Akt des individuellen Bewußtseins, und sie
wird ebensowenig durch die Möglichkeit der sachlichen Un-
richtigkeit wie durch die erfahrungsmäßige Korrigierbarkeit in
Frage gestellt. Denn die Urteile, die wir über Gleichheit und Un-
gleichheit von „Gegenständen“ fällen, sind doch eben tatsächlich
nur Urteile üher unsere Vorstellungen von den Gegenständen,
und ihre „sachliche“ Richtigkeit oder Unrichtigkeit hängt somit
an der Frage, ob diese Vorstellungen adäquatsind odernicht. Mit
Recht hat Sigwart 26) darauf hingewiesen, daß angesichts der

25) Formallogisch ausgedrückt : die begründende Gleichheit muß die
Redeutung eines Gatt.ungsbegriffs haben, aus dem in irgendeiner Weise die
7,u begründende Gleichheit abgeleitet werden kann.

26) Lngik 11-, § 89, p. 366ff.
 
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