Über Gleichlieit und Identität.
11
Grenzen, die der Unterscheidungsfähigkeit der menschlichen
Sin.ne gesteckt sind, die Beobachtung streng genommen nie-
mals sachlich gleiche, sondern nur „ununterscheidbare“ Größen
zu messen imstande ist, und er hat daraus die Methoden zur
Ausgleichung und Überwindung der Beobachtungsfehler ent-
wickelt: aber für jede einzelne Beobachtung fällt eben doch die
Unnnterscheidbarkeit mit der subjektiven Gleichheit der Vor-
stellungsbilder zusammen. Man kann sich das auch an anderen
Beispielen deutlich machen. Wenn wir zwei verhältnismäßig
kleine Objekte zuerst als gleich, etwa an Größe und Gestalt,
beurteili haben und uns nun mit Hilfe des Mikroskops von
ihrer Ungleichheit überzeugen, so liegt die Sache doch eben
so, daß wir das erstemal wirklich gleiche, nachher aber wirk-
lich ungleiche Vorstellungsinhalte gehabt haben. Wenn die
Unterscbeidungsfähigkeit für Sinnesqualitäten, wie Farben und
Töne, durch Übung und Ausbildung der Anlage, durch Bedürfnis
und Interesse bis zu erstaunlicher Höhe gesteigert werden
kann, so beruht das eben doch darauf, daß wir feiner wahr-
zunehmen, d. h. differenziertere Vorstellungsbilder zu gewinnen
lernen. Das läßt sich auch bis in die Psychogenesis der
logischen Prozesse verfolgen. Jene unbestimmten Allgemein-
vorstellungen 27), das „erste Allgemeine“ in der Seele 28), womit
alles Denken und Sprechen beginnt, sind docli nur der Ausdruck
davon, daß in dem Apperzeptionsvorgange bei aller Mannig-
faltigkeit der Reize im Bewußtsein zunächst nur das stetig
wiederkehrende Gleiche aufgefaßt (und bezeichnet) wird, so
daß die naiven Rekognitionen und Benennungen, die dem ent-
wickelten und differenzierten Bewußtsein so wunderlich vor-
kommen, in der Tat der Ausdruck des Erlebnisses sind. Alles
in allem, das Bewußtsein kann sich über Gleichheit bzw. Un-
gleichheit seiner Vorstellungsinhalte nicht täuschen; es wäre
nicht auszudenken, woher darin ein Irrturn kommen sollte: Ver-
gleichungsurteile werden erst unrichtig, wenn sie nicht mehr
die Vorstellungen, sondern die Gegenstände hetreffen sollen.
Darin wird Hume rdcht behalten: wenn es auch völlig irrig ist,
wie er 29) bei seiner ersten einseitig empiristischen Auffassung
2‘) \gl. Sxeinthal, Abriß der Sprachwissenschcift /, p. 118ff., 401ff.,
und. Sigwart, Logik 1, § 7, 7.
28) Vgl. Lotze, Logik (1874), § 14ff.
29) Treat. //, 4 (Lipps, p. 67) ; vgl. übrigens, was für Humes Entwick-
lung bedeuisam ist, Enquiry, Abs'chn. IV u. VII.
11
Grenzen, die der Unterscheidungsfähigkeit der menschlichen
Sin.ne gesteckt sind, die Beobachtung streng genommen nie-
mals sachlich gleiche, sondern nur „ununterscheidbare“ Größen
zu messen imstande ist, und er hat daraus die Methoden zur
Ausgleichung und Überwindung der Beobachtungsfehler ent-
wickelt: aber für jede einzelne Beobachtung fällt eben doch die
Unnnterscheidbarkeit mit der subjektiven Gleichheit der Vor-
stellungsbilder zusammen. Man kann sich das auch an anderen
Beispielen deutlich machen. Wenn wir zwei verhältnismäßig
kleine Objekte zuerst als gleich, etwa an Größe und Gestalt,
beurteili haben und uns nun mit Hilfe des Mikroskops von
ihrer Ungleichheit überzeugen, so liegt die Sache doch eben
so, daß wir das erstemal wirklich gleiche, nachher aber wirk-
lich ungleiche Vorstellungsinhalte gehabt haben. Wenn die
Unterscbeidungsfähigkeit für Sinnesqualitäten, wie Farben und
Töne, durch Übung und Ausbildung der Anlage, durch Bedürfnis
und Interesse bis zu erstaunlicher Höhe gesteigert werden
kann, so beruht das eben doch darauf, daß wir feiner wahr-
zunehmen, d. h. differenziertere Vorstellungsbilder zu gewinnen
lernen. Das läßt sich auch bis in die Psychogenesis der
logischen Prozesse verfolgen. Jene unbestimmten Allgemein-
vorstellungen 27), das „erste Allgemeine“ in der Seele 28), womit
alles Denken und Sprechen beginnt, sind docli nur der Ausdruck
davon, daß in dem Apperzeptionsvorgange bei aller Mannig-
faltigkeit der Reize im Bewußtsein zunächst nur das stetig
wiederkehrende Gleiche aufgefaßt (und bezeichnet) wird, so
daß die naiven Rekognitionen und Benennungen, die dem ent-
wickelten und differenzierten Bewußtsein so wunderlich vor-
kommen, in der Tat der Ausdruck des Erlebnisses sind. Alles
in allem, das Bewußtsein kann sich über Gleichheit bzw. Un-
gleichheit seiner Vorstellungsinhalte nicht täuschen; es wäre
nicht auszudenken, woher darin ein Irrturn kommen sollte: Ver-
gleichungsurteile werden erst unrichtig, wenn sie nicht mehr
die Vorstellungen, sondern die Gegenstände hetreffen sollen.
Darin wird Hume rdcht behalten: wenn es auch völlig irrig ist,
wie er 29) bei seiner ersten einseitig empiristischen Auffassung
2‘) \gl. Sxeinthal, Abriß der Sprachwissenschcift /, p. 118ff., 401ff.,
und. Sigwart, Logik 1, § 7, 7.
28) Vgl. Lotze, Logik (1874), § 14ff.
29) Treat. //, 4 (Lipps, p. 67) ; vgl. übrigens, was für Humes Entwick-
lung bedeuisam ist, Enquiry, Abs'chn. IV u. VII.