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Wilhelm Windelband:
der Mathematik jede Berichtigung des natürlichen Ctleichsetzens
über das hinaus, was wir mit Instrumenten und künstlichen
Mitteln erreichen können, für eine bloße Fiktion, ebenso nutzlos
als unverständlich, erklärt. Er vergißt nichts weniger als die
Hauptsache, daß nämlich die Gleichheitsurteile der Mathematik
nicht auf Vergleichungen von Impressionen, sondern auf Kon-
struktionen, Defmitionen und begrifflichen Deduktionen beruhen.
Kann aber so, indem wir eine Täuschung über die Gleich-
lieit bzw. Ungleichheit hei Vorstellungsinhalten für ausge-
schlossen, dagegen bei „Gegenständen“ für möglich erklären,
überhaupt von Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Vergleichungs-
urteilen gesprochen werden, so führt da.s dazu, den Begriff der
reflexiven Kategorien, die sich ja alle aus der Wechselbeziehung
von Vergleichen und Unterscheiden entwickeln 30), nach einer
wichtigen Hinsicht zu erläutern. Die Gleichheit bedeutet aller-
dings kein reales (konstitutives) Verhältnis zwischen den Gegen-
ständen: aber das Gleichheitsurteil ist trotzdem ganz und ga.r
von dem Inhalt der Vorstellungen abhängig. Es ist Sache der
Reflexion und damit bis zu einem gewissen Grade sogar der
Willkür des einzelnen Urteilens, was verglichen werden soll:
aber die Behauptung von Gleichheit oder Ungleichheit ist, aller
Willkür entzogen, lediglich durch die verglichenen Inhalte be-
stimmt. Wenn ich im Gehirge aufmerksam gemacht werde und
dann selbst fmde, daß die Kontur eines Berges mit, dem Profil
einer historischen Persönlichkeit, z. B. Napoleons, ähnlich oder
gleich ist, so hesteht in diesem Falle auch nicht der Schatten
einer realen Beziehung zwischen beiden „Gegenständen“: die
Ahnlichkeit ergibt sich lediglich für das reflektierende Bewußt-
sein, in. welchem die Vorstellungen von heiden zufällig zu-
sammenkommen. Nicht immer braucht die Beziehungslosigkeit
der beiden „gleichen“ Gegenstände so ausgesprochen zu sein;
vielmehr ist gelegentlich die Gleichheit durch reale Zusammen-
hänge vermittelt, wie in dem Verhältnis eines Bildes zu seinem
Original, oder wie in der Ähnlichkeit der Individuen ein und
desselben Geschlechts: im letzteren Falle 'läßt sich sogar die
Gleichheit zu einer (realen) Identität des organischen Wesens
ausdeuten. 31) Aber der Sinn der Gleichheit an sich ist von
30) Vgl. meine Abhandlung in der SiGWAHT-Festsclirift, p. 52ff.
31) Vgl. Arist. Eth. Nik. F/ZZ, 14, 1161b, 31: eiffi bf| rauxö ttuk; xai ev
bippriuevoi:;. Der Ctrieche hatte in den Gymnasien wolil täglich Ctelegenheit, diese
Wilhelm Windelband:
der Mathematik jede Berichtigung des natürlichen Ctleichsetzens
über das hinaus, was wir mit Instrumenten und künstlichen
Mitteln erreichen können, für eine bloße Fiktion, ebenso nutzlos
als unverständlich, erklärt. Er vergißt nichts weniger als die
Hauptsache, daß nämlich die Gleichheitsurteile der Mathematik
nicht auf Vergleichungen von Impressionen, sondern auf Kon-
struktionen, Defmitionen und begrifflichen Deduktionen beruhen.
Kann aber so, indem wir eine Täuschung über die Gleich-
lieit bzw. Ungleichheit hei Vorstellungsinhalten für ausge-
schlossen, dagegen bei „Gegenständen“ für möglich erklären,
überhaupt von Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Vergleichungs-
urteilen gesprochen werden, so führt da.s dazu, den Begriff der
reflexiven Kategorien, die sich ja alle aus der Wechselbeziehung
von Vergleichen und Unterscheiden entwickeln 30), nach einer
wichtigen Hinsicht zu erläutern. Die Gleichheit bedeutet aller-
dings kein reales (konstitutives) Verhältnis zwischen den Gegen-
ständen: aber das Gleichheitsurteil ist trotzdem ganz und ga.r
von dem Inhalt der Vorstellungen abhängig. Es ist Sache der
Reflexion und damit bis zu einem gewissen Grade sogar der
Willkür des einzelnen Urteilens, was verglichen werden soll:
aber die Behauptung von Gleichheit oder Ungleichheit ist, aller
Willkür entzogen, lediglich durch die verglichenen Inhalte be-
stimmt. Wenn ich im Gehirge aufmerksam gemacht werde und
dann selbst fmde, daß die Kontur eines Berges mit, dem Profil
einer historischen Persönlichkeit, z. B. Napoleons, ähnlich oder
gleich ist, so hesteht in diesem Falle auch nicht der Schatten
einer realen Beziehung zwischen beiden „Gegenständen“: die
Ahnlichkeit ergibt sich lediglich für das reflektierende Bewußt-
sein, in. welchem die Vorstellungen von heiden zufällig zu-
sammenkommen. Nicht immer braucht die Beziehungslosigkeit
der beiden „gleichen“ Gegenstände so ausgesprochen zu sein;
vielmehr ist gelegentlich die Gleichheit durch reale Zusammen-
hänge vermittelt, wie in dem Verhältnis eines Bildes zu seinem
Original, oder wie in der Ähnlichkeit der Individuen ein und
desselben Geschlechts: im letzteren Falle 'läßt sich sogar die
Gleichheit zu einer (realen) Identität des organischen Wesens
ausdeuten. 31) Aber der Sinn der Gleichheit an sich ist von
30) Vgl. meine Abhandlung in der SiGWAHT-Festsclirift, p. 52ff.
31) Vgl. Arist. Eth. Nik. F/ZZ, 14, 1161b, 31: eiffi bf| rauxö ttuk; xai ev
bippriuevoi:;. Der Ctrieche hatte in den Gymnasien wolil täglich Ctelegenheit, diese