Über Gleichheit aiicl Identität.
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solchen Nebenmöglichkeiten der realen Vermittlung unabhängig:
es gehört niemals zu den Realbestimmungen des Einen, mit
dem Andern gleich oder ähnlich zu sein. Allein selbst in einem
so reinen Fall, wie bei jener Gleichsetzung der Silhouetten
eines Berges und eines Gesichts, ist doch das Urteil darauf be-
gründet, daß sich in beiden sonst noch so verschiedenen Vor-
stellungskomplexen dieselbe stark hervortretende Linie findet:
sie macht in diesem Falle die „Selbigkeit“ aus, jene aristote-
lische evoTpq (Hume sagt gelegentlich dafür „sameness“), die
bei jeder Art von Gleichheit ebenso erforderlich ist wie bei
der Identität.
Darin sind nun eine Anzahl von Grundverhältnissen des
kategorialen und speziell zunächst des reflexiven Denkens in
typischer Weise enthalten. Erstens zeigt sich, daß die Kate-
gorie (der Gleichheit) weder in dem einen oder dem andern
der verglichenen Inhalte noch in deren bloßer Sunnne enthalten
ist, sondern die Urteilsform des reflektierenden Denkens aus-
macht. Man nennt das seit Kant die Apriorität der Kategorie:
sie hatte schon Platon im Auge, wenn er im Theaetet den Nach-
weis führte 32), daß Gleichheit und Ungleichheit (ebenso übrigens
wie Identität und Verschiedenheit 33)) durch kein Organ des
Leibes empfunden, sondern von der „Seele“ selbst gedacht
werden, und wenn er im Phaedon 34) zur Begründung der Lehre
von der dvdpvtiöTg die Idee der Gleichheit, die niemals ungleich
sein kann, von den gleichen Dingen, wie Hölzern oder Steinen,
unterscheidet, die, indem sie doch zugleich auch ungleich sind,
nach der Gleichheit nur „streben“, aber sie niemals ganz er-
reichen 35): woraus dann gefolgert wird, daß die Seele die Idee
(aÜTÖ tö iöov), die sie in den Dingen nicht fmden kann, aus dem
früheren Leben mitgebracht haben muß. Daß Kant diese psy-
chologisch-metaphysische Priorität in die transzendentale ver-
„Identität“ des Familienwesens im Bau wie in der Bewegung von Vätern
und Söhnen oder von Brüdern zu beobachten.
32) Theaet. 185c.
33) Vgl. auch Platon, Soph. 254d.
3i) Phaed., 74ff.
35) Ibid. 75 a: öpeyeTai pev irdvTa xaÖT’ dvai olov tö ioov, exei be ev-
beeotepuK;. 75 b: TTpoO-uiaeiTav pev travTa TOiauTa dvai oiov öxeivo, öcm bö
auTou cpauÄÖTepa — höchst charakteristische Wendungen für die Sprache der
Ideenlehre.
13
solchen Nebenmöglichkeiten der realen Vermittlung unabhängig:
es gehört niemals zu den Realbestimmungen des Einen, mit
dem Andern gleich oder ähnlich zu sein. Allein selbst in einem
so reinen Fall, wie bei jener Gleichsetzung der Silhouetten
eines Berges und eines Gesichts, ist doch das Urteil darauf be-
gründet, daß sich in beiden sonst noch so verschiedenen Vor-
stellungskomplexen dieselbe stark hervortretende Linie findet:
sie macht in diesem Falle die „Selbigkeit“ aus, jene aristote-
lische evoTpq (Hume sagt gelegentlich dafür „sameness“), die
bei jeder Art von Gleichheit ebenso erforderlich ist wie bei
der Identität.
Darin sind nun eine Anzahl von Grundverhältnissen des
kategorialen und speziell zunächst des reflexiven Denkens in
typischer Weise enthalten. Erstens zeigt sich, daß die Kate-
gorie (der Gleichheit) weder in dem einen oder dem andern
der verglichenen Inhalte noch in deren bloßer Sunnne enthalten
ist, sondern die Urteilsform des reflektierenden Denkens aus-
macht. Man nennt das seit Kant die Apriorität der Kategorie:
sie hatte schon Platon im Auge, wenn er im Theaetet den Nach-
weis führte 32), daß Gleichheit und Ungleichheit (ebenso übrigens
wie Identität und Verschiedenheit 33)) durch kein Organ des
Leibes empfunden, sondern von der „Seele“ selbst gedacht
werden, und wenn er im Phaedon 34) zur Begründung der Lehre
von der dvdpvtiöTg die Idee der Gleichheit, die niemals ungleich
sein kann, von den gleichen Dingen, wie Hölzern oder Steinen,
unterscheidet, die, indem sie doch zugleich auch ungleich sind,
nach der Gleichheit nur „streben“, aber sie niemals ganz er-
reichen 35): woraus dann gefolgert wird, daß die Seele die Idee
(aÜTÖ tö iöov), die sie in den Dingen nicht fmden kann, aus dem
früheren Leben mitgebracht haben muß. Daß Kant diese psy-
chologisch-metaphysische Priorität in die transzendentale ver-
„Identität“ des Familienwesens im Bau wie in der Bewegung von Vätern
und Söhnen oder von Brüdern zu beobachten.
32) Theaet. 185c.
33) Vgl. auch Platon, Soph. 254d.
3i) Phaed., 74ff.
35) Ibid. 75 a: öpeyeTai pev irdvTa xaÖT’ dvai olov tö ioov, exei be ev-
beeotepuK;. 75 b: TTpoO-uiaeiTav pev travTa TOiauTa dvai oiov öxeivo, öcm bö
auTou cpauÄÖTepa — höchst charakteristische Wendungen für die Sprache der
Ideenlehre.