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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1910, 14. Abhandlung): Über Gleichheit und Identität — Heidelberg, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.32160#0021
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Über Gleichlieit und Identität.

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wendung durch die Gesichtspunkte der besonderen Wissen-
schaften in der verschiedensten Weise determiniert wird. Wenn
wir als unwesentliche Eigenschaften eines Gegenstandes, eines
Dinges, eines „Wesens“ diejenigen bezeichnen, welche auf-
gehoben oder mit andern vertauscht werden können, ohne daß
seine Identität damit in Frage gestellt ist, wesentliche dagegen
die, mit denen die Identität steht und fällt, so kann dieser
Unterschied in concreto niemals formal logisch, sondern nur
methodologisch bestimmt werden, indem jede Wissenschaft nach
ihren. Erkenntnisaufgaben die Gesichtspunkte der Auswahl des
für sie Wesentlichen und damit Identischen normiert. So kann
man sich, indem man die obigen Beispiele durchläuft, leicht
davon überzeugen, wie verschieden das Prinzip der Identität
sich für Physik, Cliemie, Biologie, Geschichte spezifiziert.

Trotzdem hleibt in dem Postulat der Identität, auch wo es
sich in der Deutung einer Fülle von ungleichen Vorstellungs-
inhalten entwickelt, mit der Annahme der Selbigkeit diejenige
einer beharrenden Gleichheit des wesentlichen Inhalts aufrecht-
erhalten, selbst wenn sie sachlich nicht angegeben werden
kann. Dies tritt hesonders an dem Beispiel zutage, mit dem
man die Reihe der obigen zu krönen hätte: an der Identität des
Ich. Wir können keinen einzigen Inhalt angeben, der ihm
dauernd aktuell zugehörte: selbst die Vorstellung des eignen
Leibes ist nur im Sinne der unmerklichen Allmählichkeit !der
Umwandlung als konstant zu betrachten, alle ührigen Vor-
stellungen aber, Ivenntnisse, Ansichten, Überzeugungen, alle Ge-
fühlsweisen und Willensrichtungen unterliegen dem herakli-
tischen Fluß; selbst die konstanteren unter ilinen, die den
„Charakter“ des Individuums ausmachen, können unter Um-
ständen völlig gegen entgegengesetzte ausgetauscht werden:
wir wundern uns darüber vielleicht, aber wir betrachten die
Identität der Persönlichkeit dadurch so wenig für gefährdet,
wie durch die totalen Umgestaltungen des seelischen Inhalts,
die unter Umständen bei geistiger Erkrankung auftreten.
Und doch genügen uns die assoziationspsychologischen Dar-
legungen 47), wodurch die „Illusion“ der persönlichen Identität
hegreiflich gemacht werden soll, so wenig, daß das Postulat
dieser Identität auch der deutlichen Einsic.ht gegenüher, daß

7) Vgl. z. B. Dav. IIume, Trecä. IV, 6, u. Anhang.
 
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