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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph; Schelling, Caroline; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Frank, Erich [Bearb.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 1. Abhandlung): Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline in der Neuen Jenaischen Literatur-Zeitung — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32876#0023
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Rezensionen iiber schöne Literatur von Schelling und Caroline. J5
welche die Kusine einen Tisch und darauf „einen alten ledernen Großvater-
stuhl“ gestellt hatte. „Ach ! aber das plumpe Knie des Ritters brachte den
dreybeinigen Tisch aus dem Gleichgewicht, der, da er selbst nicht mehr
stehen konnte, die Zumuthung für ungerecht hielt, den alten Großvaterstuhl
länger zu tragen, zu dessen Stlitze ohnehin sein Schöpfer trotz des mangelnden
ßeines (?) ihn ja nie bestimmt habe. Er entledigte sich daher ohne Um-
stände der demüthigenden Last, die, fallend, mit der hohen Lehne bis an den
Fuß des Bettes reichte, und unglücklicherweise ein Geschirr zerschlug, das
nicht so leer war, wie der Marmorbrunnen zu Nürnberg. Dieses Zerschlagen ge-
schah vermittels eines der breiten Ohren des Großvaterstuhls, welches gerade
mit seiner ganzen Fläche die Oberfläche des Inhalts traf, daß er stolz empor-
stieg wie die Fontainen auf dem Petersplatze zu Rom, bis das Gesetz der
Schwere ihn zwang, auf Bett und Gesicht der schlafenden Schönen in Mil-
lionen Tropfen herab zu stürzen. Hilf Himmel ! Welch ein Erwachen ! wie
verschieden von Adams seligem Erwachen durcli Mahler Müller beschrieben !
Welcli ein zuckendes Streben der Purpurlippen, die Wuth in Tönen zu äußern !
und welche Töne vvürde man vernommen haben, hätte nicht die weise Be-
trachtung, es sey fürs erste nothwendig, die zarten Lippen nicht allein zu ver-
schließen, sondern sogar ein wenig einwärts zu klemmen, die Oberhand be-
halten. Wie aber sollte nun die zürnende Aurora — zur Strafe ihres Ver-
spätens durch eigenen Thau geweckt, ihr Antlitz schnell genug davon be-
freyen?“ etc. Wir können uns zwar kaum enthalten, den Leser ernstlich um
Entschuldigung zu bitten, daß hier eine Scene unter seine Augen gebracht
wird, welche leicht mehrere Sinne afficiren möchte : er bedenke aber, daß der
VL ein Mann ist, der in den ersten und gebildetsten Zirkeln lebt, mithin
wissen muß, was er ihnen zumuthen darf, und traue lieber seinen Sinnen
nicht, als daß ihm diese fleißig ausgemahlte Erfindung bis zum tiefsten
Schmutz ekelhaft scheinen sollte. Vielmehr bemerke er mit Wohlgefallen, wie
der Vf. Mittel findet, die Objecte steigernd, zuerst den Marmorbrunnen zu
Nürnberg, dann die Fontainen auf dem Petersplatze zu Rom, zuletzt das Ant-
litz der reinen Göttin Aurora in den Kreis seiner Scherze zu bannen, und sie
sich kraft jenes Nasses zu eigen zu machen, wie einst Circe durch Tränkc die
Gefährten des Ulysses, aus denen dann unsaubere Thiere wurden, welche sie
in ihre Ställe sperrte. — Wie Iir. v. K. auf solche überraschende Wen-
dungen kommt, wodurch überhaupt seine Erzählungen das Ansehen gewinnen,
als seyen einzelne Worte wie in dem bekannten Gesellschaftsspiel dazu auf-
gegeben, und mit nicht gar glücklicher Begeisterung die Ausfüllung impro-
visirt, dieses läßt sich vielleicht zunächst aus dem Umstande erklären, den
er dem Publicum selbst mitgetheilt hat, daß nämlich der selige Musäus sein
Oheim war, und dieser wackere Mann die Gewohnheit hatte, theils An-
spielungen, welche dem Interesse der Zeit gemäß waren, theils andere bekannte
Mythen aus der Kunst- und Naturgeschichte seinen gefälligen Volksmährchen
ergötzlich einzuweben und zu dem Ende das Höhere selbst leichtfertig zu
travestiren. Aber dieses geschah freylich mit einer nie sich verleugnenden
Reinlichkeit der Imagination und einer Bescheidenheit, der man es anmerkte,
daß der Mann im innersten Herzen das Schöne und Rechte als schön und
recht empfand, und das Wissenschaftliche respectirte. Dem Neffen liingegen,
wenn er sich dieser Manier als einer zugefallenen Erbschaft gleichsam be-
dient, glaubt man es auf das erste Wort, daß ihm die Dinge nichts werth
 
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