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Bekker, Ernst Immanuel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1915, 3. Abhandlung): Das Völkerrecht der Zukunft — Heidelberg, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.34062#0009
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Das Völkerrecht der Zukunft.

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sind wir l\Jenschen hervorgegangen, doch bis zu uns wieder ein
weiter Weg. Uber den Verlauf wissen wir wenig, mögen aber
vermuten, daß er langsam und glatt gewesen; zur Annahme von
Sprüngen fehlt jeglicher Grund. Beim Afangel an Spuren sind
wir außerstande, vom ersten Menschen uns ein Biid zu machen und
anzugeben, wie er vom letzten Vormenschen, oder von cfem späteren
Vollmenschen, sich unterschieden haben dürfte. Desto einleuch-
tender wird die Relativität. Zweifeflos, daß schon unter den Vor-
menschen Einzelne mehr Züge des zu erreichenden Menschentums
an sich getragen als andere, und ebenso, daß unter den Urmenschen
die Züge der Bestialität weder plötzlich, noch bei Allen gleich-
zeitig verschwanden. Ein bestimmtes Rennzeichen des fertigen,
dem Tiere entwachsenen Menschen besitzen wir nicht; aber alle
spezieh menschlichen Eigenschaften können nur in langsamster
Entfaltung zu volfer Bfüte gefangt sein: so der Sinn zu friedlichem
Verkehre und zu dauernden Verbindungen mit Seinesgleichen,
folgeweise eine geordnete Sprache, moralische Gefühle und reli-
giöse Stimmungen, der Trieb zur Forschung und zur Betätigung
der angeborenen Kräfte, nicht bfoß zum Nützlichen, sondern auch
zum Schönen usw. Ob dann, nachdem bereits ein so oder anders
gestaitetes Ziel erreicht worden, weiteres Wachstum des Menschen
zum Mehrmenschen oder gar Übermenschen, und damit eine sich
ins Unendliche erstreckende Relativität anzunehmen sei, muß hier
unerörtert bleiben.
Bei den Verbänden unterscheicfen wir zwei Gruppen, solche,
die durch den Beschluß der Beteiligten, und solche, die ohne den
zustande gekommen sind, ,,beschlossene" und ,,erwachsene". Mit
der Lupe vielleicht ließe auch bei jenen noch ein Bild des Wer-
dens sich herausfinden. Deutlicher aber, ja geradezu unverkennbar,
tritt die Stufenfolge, und die ihr entsprechende Relativität bei
den erwachsenen Verbänden hervor. Beispielsweise bei der Familie,
gewiß dem ältesten aller Verbände. Vorbilder sind schon in einigen
der höheren Tierklassen erfindfich; Voraussetzung monogamisches
oder gewissen Regeln unterworfenes polygamisches Zusammen-
feben. Hinzukommen müssen praktische Beweise der Efternliebe,
Atzung, Nest, Schutz wider feindfiche Dritte. Entsprechend
entwickeln sich die Gefühle der Kinder; auch sie beginnen für
Eltern und Geschwister zu arbeiten und zu kämpfen. Die Familie
ist im Werden begriffen, aber noch nicht fertig. Die Fertigstellung
f'ordert das Hinzutreten einer geistigen Realität, des Bewußtseins
 
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