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Bekker, Ernst Immanuel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1915, 3. Abhandlung): Das Völkerrecht der Zukunft — Heidelberg, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.34062#0021
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Das Völkerrecht der Zukünft.

21

Kindesalter der Staaten unter unsern Urstaaten mit nachhelfender
Überlegung zustande gebracht werden. Größere innere Reife wäre
wiederum die Vorbedingung des äußern Fortschritts. Die innere
Reife aber beruhte ebenso auf der Kräftigung und Säuberung der
eingeborenen Moral wie auf der Schulung des Egoismus; dieser
soh zweiseitig werden, durchdrungen von dem Gefühl, daß nur
das mit andern geteilte Gut uns auf die Dauer nützen könne.
Daß die rationelle Pflege unserer guten Naturanlagen zur
Zeit noch den größten Schwierigkeiten begegnet, iiegt zutage. Re-
rufen sind ahe, welche das Vermögen in sich verspüren, auf andere,
möglichst viele, im guten Sinne zu wirken. Auf ,,möglichst viele",
damit ist gesagt, daß.Staatsmänner und Zeitungsschreiber in die
ersten Reihen gehören, die an der Miserabilität der gegenwärtigen
Zustände am meisten Schuld tragen und jeder Resserung am
energischsten widerstreben. Für die russischen, französischen, eng-
lischen und auch die amerikanischen Staatslenker ist das Ideal
immer noch der Eauernschädel des alten Cato: elende Habgier,
deren blödes Elicken nicht über die nächste Nähe hinausträgt.
Anders steht es mit der Presse, der jüngsten, aber sicher
nicht mehr sc-hwächsten Großmacht. Hier fehlen nicht die glän-
zendsten Ausnahmen; schon oft haben Journalisten voraus-
gesehen und vorhergesagt, was den leitenden Politikern noch ver-
schlossen geblieben; aber was fehlt, ist der Korpsgeist. Das fort-
gesetzte bewußte Lügen ist kein neuer Erauch, aber vielleicht
noch nie mit gleicher Zähigkeit geübt wie in diesem Kriege. Daß
hierin ein schier unüberwindliches Hindernis innerlichen politischen
Fortschritts liegt, wird kein Einsichtiger verkennen; wie es zu
beseitigen wäre, muß der Masse der hochachtbaren Journahsten
überlassen bleiben, die von dem Übel nicht minder schmerzlich
berührt werden als wir Draußenstehende.
Als Voraussetzung der Reife der Staaten betrachten wir dic
politische Reife der Völker; sie bildet das erste Ziel, vor dem die
Erreichung des zweiten unmöglich wäre. Denkbar aber erscheint
uns die Völkerreife nur auf der Grundlage einer allgemeinen
demokratischen, nicht Verfassung, wohl aber Gesinnung. Jeder-
mann soll darauf bedacht sein, auf eigenen Füßen zu stehen, was
nicht ausschließt, daß die geistig, körperlich oder sachlich Schwä-
cheren bei den je Stärkeren Rat und Hilfe suchen und finden.
Aber nirgends gibt es Herdenvieh, und allgemein verhaßt, bekämpft
und schließlich verbannt ist jegliches Gliquenwesen. Um aber
 
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