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Braune, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 11. Abhandlung): Reim und Vers: eine wortgeschichtliche Untersuchung — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34082#0024
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WlLHELM BRA.UNE:

responsorienweise vorgetragenen Psalmvers, nicht um eine Strophe,
die W. MüLLER von seinem nhd. Sprachgefühl aus hinein inter-
pretiert hat.
Es fragt sich nun aber, wann und wie entstand der nhd. Ge-
brauch von cer? = Strophe ? Eine durch fortlaufende Belegreihen
gestützte sichere Antwort kann ich hierauf freiiich nicht geben.
wohl aber eine sehr wahrscheinliche Hypothese vortragen. Das
DwB. 12, 1030 gibt gar keine Belege: es wird nur als Bedeutung
2) bei ce/'.? angeführt: Vereinigung mehrerer rhythmischer
Zeiien zu einem Ganzen: emig'e eer^e ei7re7?7 iiede M7^e72, beson-
ders von Kirchenliedern gesagt'. Daß der Sprachgebrauch im
Ivirchenfiede zu Hause sein wird, ist wohl richtig. Es ist eine
feste Formei im protestantischen Gottesdienste, wenn der Geist-
iiche nach der Predigt von der Kanzei verkündigt 'wir singen aus
dem .... Liede den dritten (letzten usw.) Vers'. Das möchte
man für recht alt halten und in Mittel- und Norddeutschland mag
es ja wohl einige Jahrhunderte zurückreichen, wiewohl oben S. 17
erwähnt ist, daß Geilert erst 1748 durch cer^ ersetzt hat.
In Oberdeutschland hat guMiz teilweise bis auf unsere Zeit geiebt:
dort ist jedenfails der neue Gebrauch von ceT*^ nicht entstandeiP).
Imweitlichen Liedergesangherrschte aligemeinim 17. Jahrhundert
noch ge^ü^z. In das Kirchenlied dürfte cer^ statt g'e^dfz zuerst durch
den Psaimengesang gekommen sein und aiso auf das zweite lateini-
sche versus = Psalmvers zurückgeiien. Statt des lateinischen
Psalmengesangs der alten Kirche wurden nach der Reformation
deutsche strophische Psalmlieder gemacht, worin Luther voran-
ging. Nach ihm erstand eine ganze Reihe von Dichtern, welc.he
den ganzen Psaiter in Kirchenliederform umdichteten, die man bei
GoEDEKE 2^, § 126 (S. 172ff.) überbückG). Bei vielenVeröffent-
lichungen steht auf dem Titei 'gesangsweis in deutsche Reime ver-
faßt' oder ähnlich (vgl. oben S. 15 bei Meiissus). Das besagt, daß die
Psalmen singbar, aiso in der strophischen Form des evangelischen
Im Schweiz. Idiot. 7,1578 lesen wirunterGesatz: "InBE (Emmental)
ieitete der Pfarrer den Kirchengesang ein mit den Worten: 'Lasset uns singen
aus dem xten Liede das erste und zweite g'satz'; so nach A.v.Rütte bis um
1840, nach anderer Angabe noch der Nachfolger Gotthelfs (später 'Vers',
heute 'Strophe')."
^) Vollständigere und ausführlichere Materialien gibt PHiLipp IV-AK-
KERNAGEL, Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes im
XVI. Jahrhundert, 1855. Daselbst sind S. 537-—683 auch die Vorreden zu
den Gesangbüchern des 16. Jahrhunderts vollständig abgedruckt.
 
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