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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0087
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Die Göttin Psyche.

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schrift nicht individuell behandelt wird. Was daraus werden muß,
zeigt die oben besprochene Behandlung des Osiris-Mythos in der
Κόρη κόσμου, ja zeigt im Grunde die gesamte Behandlung dieser
Schrift, in welcher jeder unbefangene Leser wohl zunächst eher
mythologische Tradition als ein philosophisches System suchen
würde, wenn sie ihm nicht in einen ganz falschen Zusammenhang
gerückt gegenüberträte. Die Folge wäre, daß nun auch die Lehre
der Manichäer, wie sie uns bei Theodor bar Khoni und in den Tur-
fän-Fragmenten entgegentritt, die Kosmogonie des Asonakes und
die chaldäischen Orakel entweder aus den Hermetischen Schriften
oder aus Plato erklärt werden müßten; sonst ist der Beweis Krolls
nicht mehr irgendwie zwingend. So habe ich mit Absicht den umge-
kehrten Weg eingeschlagen und bin von den religiösen Traditionen
ausgegangen, die mir möglichst unphilosophisch aussahen, den
Manichäertexten und der Kosmogonie eines Zauberbuches. Trotz
aller Abstrusität finde ich hier einen tief religiösen Gedanken an-
gedeutet, der in den andern Stücken dann breiter ausgeführt wird,
den unbehilflichen Versuch eines die Weltgeschichte umspannen-
den Erlösungsdramas: eine Urseele oder Göttin, die von ihrem
Schöpfer abgeirrt ist, wird am Ende aller Dinge mit ihm wieder
vereinigt. Das ist Religion, nicht Philosophie. Aber bei der Helleni-
sierung dieses aus tiefster Sehnsucht geborenen religiösen Gedan-
kens wirken zunächst die einheimische, dann auch die griechische
Spekulation mit ein und beeinflussen je nach Neigung und Bildung
des einzelnen Schriftstellers die Ausführung; für den Hellenen
hat dabei schon die philosophisch beeinflußte Sprachentwicklung
vorgearbeitet. Aber mag auch der eine Autor mehr die φυσιο-
λογία bieten wollen — um mit dem öfters angeführten Imuthes-
Propheten zu reden —, der andere mehr τον πιθανολογηθέντα
μύθον: religiös wirken wollen sie beide. Den wahren Ursprung
des Gedankens kann mir nur ein Vergleich der verschiedenen
Fassungen zeigen; die großen religiösen Impulse aber suche ich in
dieser Zeit im Orient, nicht mehr in Griechenland.
§ 9.
Hat sich bisher mit einiger Wahrscheinlichkeit ergeben, daß
ein iranischer Schöpfungsmythos, in welchem eine Göttin Seele
vorkam, sich unter persischer Herrschaft allmählich durch Vorder-
asien verbreitet und bei seiner Verbindung mit anderen Traditionen
 
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